1. Kapitel
Lydia Goetz
Es war Mittwochmorgen an einem etwas weniger freundlichen Junitag. Ich drehte das Schild in der Tür meines Wollgeschäfts in der Blossom Street aufGeöffnet und blieb einen Moment auf der Türschwelle stehen, um den süßen Duft von Taglilien, Gladiolen, Rosen und Lavendel einzuatmen, der vonSusannah’s Garden, dem Blumenladen nebenan, ausging.
Der Sommer hatte begonnen, und obwohl der Himmel bedeckt war und es ganz so aussah, als könnte es jeden Augenblick anfangen zu regnen, herrschte in meinem Herzen strahlender Sonnenschein. Mein Mann Brad lachte mich jedes Mal aus, wenn ich so etwas sagte, aber das war mir egal. Als eine Frau, die nicht nur ein-, sondern zweimal eine Krebserkrankung überlebt hatte, fand ich, dass ich gelegentlich sentimentale Bemerkungen machen durfte. Ganz besonders heute.
Ich atmete tief ein und langsam wieder aus, genoss den frühmorgendlichen Frieden. Konnte es einen schöneren Ort geben als Seattle im Sommer? Ich glaube nicht. Dazu trugen auch die vielen Blumen bei, die vorSusannah’s Garden ausgestellt waren. Die Farbenpracht und der berauschende Duft, der zu mir herübergeweht wurde, ließen mich mehr als nur froh sein, dass mein Laden ausgerechnet hier lag.
Whiskers, mein Ladenkater, wie Brad ihn nannte, schlenderte über den Hartholzboden und sprang ins Schaufenster, wo er sich zwischen den dort arrangierten Docken pastellfarbener Wolle einrollte. Fast jeden Tag lag er dort und war dadurch schon längst zu einem Liebling der Nachbarschaft geworden. Die Wohnung im Obergeschoss diente zurzeit als zusätzlicher Lagerraum für Garne; vielleicht würde ich sie eines Tages wieder vermieten, aber derzeit war noch nichts geplant.
ImFrench Café war wie jeden Morgen schon eine Menge los. In den Schaufenstern lagen Gebäckstücke, Brote und Croissants, noch warm vom Backofen, und ihr köstlicher Duft ergänzte die Gerüche, die ich mit dem Sommer in der Blossom Street verband. Alix Turner war normalerweise schon um fünf Uhr morgens da, um all diese verführerischen Köstlichkeiten zu backen. Sie gehörte zu meinen engsten Freundinnen – und zu meinen ersten Kundinnen. Ich war so stolz auf alles, was sie in den letzten Jahren erreicht hatte. Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass sie ihr Leben neu erfunden hatte – mit ein wenig Hilfe von ihren Freundinnen. Inzwischen hatte sie einen Schulabschluss, einen Beruf und war mit einem Mann verheiratet, der wie für sie geschaffen schien.
Blossom Street Books etwas weiter unten an der Straße wartete auch schon auf Kundschaft. Anne Marie Roche und ihre Angestellten ließen häufig die Eingangstür offen stehen, eine Willkommensgeste, die Passanten einlud, den Laden zu betreten und darin zu stöbern. Sie und ihre Tochter Ellen würden etwas später am Tag aus Paris zurückkommen.
Beinahe jeden Nachmittag führte Ellen ihren Yorkshire Terrier an meinem Schaufenster vorbei, damit Whiskers und Baxter einander anstarren konnten. Ellen war davon überzeugt, dass das alles nur Show war. Sie glaubte, der Kater und der Hund seien in Wirklichkeit gute Freunde, wollten aber nicht, dass wir das durchschauten.
Ich l