2. Kapitel
Er stand am Ende eines langen Bootsstegs. Die Brise, die vom Wasser heranwehte, zerzauste ihm das Haar, so wie es schon vor dreißig Jahren gewesen war. Er war jetzt fünfzig, und sein Haar war zwar noch dunkel, aber über den Schläfen, den Ohren und der Stirn zeigten sich die ersten grauen Strähnen. Und jedes einzelne dieser grauen Haare hatte er sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit Millionen internationaler Flugmeilen verdient.
Seine Augen waren eisblau, und alle, die im Lauf der Jahre den Fehler gemacht hatten, ihm in die Quere zu kommen, hatten schnell feststellen müssen, dass hinter diesen Augen ein scharfer und kühl kalkulierender Verstand lauerte – der Verstand und die Kälte eines Mannes, der anderen mit einem einzigen harten Blick den ihnen gebührenden Platz zuweisen konnte.
Tief in den Winkeln dieser kühlen Augen lagen versteckt Lachfältchen, die seine wenigen engen Freunde häufig zu sehen bekamen. Eben diese Fältchen bewiesen all jenen, die ihm zum ersten Mal die Hand schüttelten, dass er gelebt hatte, und zwar lange genug, um genau zu wissen, wie er an das kam, was er wollte.
Sein Gang war entspannt und locker, der Gang von jemandem, der sich wohlfühlte mit der Macht, über die er verfügte. Hin und wieder knarrten die alten Bohlen, als wolle das Holz gegen Michaels Schritte protestieren. Er war auf dem Weg zum Bootshaus, das am Ende des Stegs stand und noch grauer und verwitterter war als er.
Das Bootshaus stand schon lange Zeit. Es war bereits dort, als er zum ersten Mal einen Fuß auf Spruce Island setzte. Damals war er dreizehn gewesen, verwaist und wütend auf eine Welt, in der Eltern am Morgen mit ihrem Sohn am Frühstückstisch sitzen und am Abend desselben Tages bei einem Autounfall ums Leben kommen konnten.
An seinem ersten Tag auf der Insel war er, aufgebracht und voll vorgespieltem Selbstbewusstsein, an dem alten Bootshaus vorbeimarschiert auf dem Weg zu einem Großvater, über den er seine Eltern in der Vergangenheit nur äußerst selten hatte reden hören.
Mit seinen dreizehn Jahren hielt er die Insel für ein hinterwäldlerisches Nichts am Arm der Welt. Sein Großvater war für ihn ein Fremder, der an einem fremden Ort lebte, jemand, der ihn nicht kannte, nun aber plötzlich die Macht über sein Leben hatte. Die Insel kam ihm vor wie Alcatraz. Er hatte Angst gehabt.
Heute, wie er hier auf dem Steg stand, war er älter und weiser. Ein wenig erschöpft vom Leben. Die Empfindungen aus seiner Jugend waren verschwunden, waren einem Gefühl für die Freiheit gewichen, die die Insel bot. Er erkannte, wie besonders dieser Ort war, der niemals von kalten Freeways seziert worden war.
Die Insel war üppig und grün, umgeben von glasklarem, silbrigem Wasser anstelle silbern verglaster Wolkenkratzer. Fichten, Zedern, Ahorn und Douglastannen tupften die zerklüfteten Felsrücken, die sich in der Inselmitte erhoben, und die nackten Klippen und schmalen Buchten, in denen sich Vögel durch die klare Luft sc