1. Kapitel
Frederike schmeckte die salzige Meeresluft. Sofort musste sie an die herrlichen Sahnebonbons aus ihrer Kindheit denken und seufzte laut. Tief vergrabene Erinnerungen an Oma Henni und laue dänische Sommernächte drängten an die Oberfläche. Und anMorfar. Wenn sie in Frankfurt war, dachte sie an Opa Mikkel als ihren Großvater. Jetzt, auf dem Weg nach Norden, fielen ihr wieder die dänischen Begriffe ein. Morfar hieß übersetzt der Vater ihrer Mutter. Die Vorstellung von Rendstrup Strand ohne ihn war kalt und grau wie das Wetter. Seitdem Frederike den Nord-Ostsee-Kanal hinter sich gelassen hatte, regnete es. Nein, das war nicht ganz richtig. Es regnete nicht einfach nur. Ein Wolkenbruch folgte auf den nächsten und beschränkte die Sicht auf unter zwanzig Meter. Und das Anfang August.
Dabei war Frederike überzeugt gewesen, dass sie alles ausreichend geplant hatte, um sicher und bequem in Rendstrup Strand anzukommen. Sie hatte den Peugeot noch mal durchchecken lassen, ehe sie am Vortag sorgfältig gepackt und das Auto beladen hatte. Dann war sie ganz früh am Morgen aufgebrochen, lange bevor in Frankfurt der Berufsverkehr einsetzte. Den Schlüssel zu Morfars Haus hatte sie gut sichtbar auf das Armaturenbrett gelegt, damit sie sich nicht alle zehn Minuten fragen musste, ob sie daran gedacht hatte, ihn einzustecken.
Sie war noch nie selbst mit dem Auto nach Dänemark gefahren. Als sie noch klein gewesen war, hatte ihre Mutter Mathilde sie einige Male, ohne eine Pause zu machen, bis nach Rendstrup kutschiert.
Gleich nach der Ankunft war Mathilde umgedreht, kaum dass sie ihre Tochter praktisch aus dem Wagen geworfen hatte.
Jetzt, wo Frederike selbst hinter dem Lenkrad saß, sah alles anders aus als in der Erinnerung. Zumindest, was man bei diesem Mistwetter erkennen konnte. Das hatte auch dafür gesorgt, dass Frederike erst später als beabsichtigt die Autobahnbrücke über den Kleinen Belt erreichte. Auf dieser Brücke, die die Meerenge überspannte und die Insel Fünen mit dem dänischen Festland verband, begann für sie die Heimkehr.
Gab es noch Leute, die sich an sie erinnerten?
Auf fünischer Seite wurde der Verkehr deutlich weniger. Dennoch merkte Frederike, dass sie immer langsamer wurde. Nicht wegen des Regens. Alles in ihr schien sich zu verkrampfen, weil ihr Herz sich gegen die Weiterfahrt sträubte. Sie stand kurz vor einem Panikanfall. Was, wenn niemand sie mehr hier haben wollte? Nicht mal auf Morfars Beerdigung war sie gewesen. Von einem Tag auf den anderen hatte sie Fünen den Rücken gekehrt. Weil Søren es so gewollt hatte, nachdem sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte.
Und nun kam sie zurück. Achtzehn Jahre, vergangen in einem Wimpernschlag.
Ihre Augen brannten. Die letzte größere Ortschaft auf dem Weg nach Rendstrup war Kerteminde, und das Brennen in ihren Augen verschärfte sich, sobald durch das halb offene Beifahrerfenster ein Hauch von Waffelduft hereindrang. Der Geruch ihrer Kindheit. Bilder von glücklichen, unbeschwerten Tagen schossen Frederike durch den Kopf. Mit den Fahrrädern waren Mille, Søren, Ras