Erster Akt
Erste Szene
Franken. Saal im Moorischen Schloß.
Franz. Der alte Moor.
FRANZ. Aber ist Euch auch wohl, Vater? Ihr seht so blaß.
DER ALTE MOOR. Ganz wohl, mein Sohn – was hattest du mir zu sagen?
FRANZ. Die Post ist angekommen – ein Brief von unserm Korrespondenten in Leipzig –
DER ALTE MOOR begierig. Nachrichten von meinem Sohne Karl?
FRANZ. Hm! Hm! – So ist es. Aber ich fürchte – ich weiß nicht – ob ich – Eurer Gesundheit? – Ist Euch wirklich ganz wohl, mein Vater?
DER ALTE MOOR. Wie dem Fisch im Wasser! Von meinem Sohne schreibt er? – Wie kommst du zu dieser Besorgnis? Du hast mich zweimal gefragt.
FRANZ. Wenn Ihr krank seid – nur die leiseste Ahndung habt, es zu werden, so laßt mich – ich will zu gelegnerer Zeit zu Euch reden. Halb vor sich. Diese Zeitung ist nicht für einen zerbrechlichen Körper.
DER ALTE MOOR. Gott! Gott! was werd ich hören?
FRANZ. Laßt mich vorerst auf die Seite gehn und eine Träne des Mitleids vergießen um meinen verlornen Bruder – ich sollte schweigen auf ewig – denn er ist Euer Sohn; ich sollte seine Schande verhüllen auf ewig – denn er ist mein Bruder. – Aber Euch gehorchen, ist meine erste, traurige Pflicht – darum vergebt mir.
DER ALTE MOOR. O Karl! Karl! Wüßtest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert! Wie eine einzige frohe Nachricht von dir meinem Leben zehen Jahre zusetzen würde – mich zum Jüngling machen würde – da mich nun jede, ach! – einen Schritt näher ans Grab rückt!
FRANZ. Ist es das, alter Mann, so lebt wohl – wir alle würden noch heute die Haare ausraufen über Eurem Sarge.
DER ALTE MOOR. Bleib! – Es ist noch um den kleinen kurzen Schritt[493] zu tun – laß ihm seinen Willen! Indem er sich niedersetzt. Die Sünden seiner Väter werden heimgesucht im dritten und vierten Glied – laß ihns vollenden.
FRANZ nimmt den Brief aus der Tasche. Ihr kennt unsern Korrespondenten! Seht! Den Finger meiner rechten Hand wollt ich drum geben, dürft ich sagen, er ist ein Lügner, ein schwarzer, giftiger Lügner – – Faßt Euch! Ihr vergebt mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse – noch dörft Ihr nicht alles hören.
DER ALTE MOOR. Alles, alles – mein Sohn, du ersparst mir die Krücke.
FRANZ liest. »Leipzig, vom 1. Mai. – Verbände mich nicht eine unverbrüchliche Zusage, dir auch nicht das geringste zu verhehlen, was ich von den Schicksalen deines Bruders auffangen kann, liebster Freund, nimmermehr würde meine unschuldige Feder an dir zur Tyrannin geworden sein. Ich kann aus hundert Briefen von dir abnehmen, wie Nachrichten dieser Art dein brüderliches Herz durchbohren müssen, mir ists, als säh ich dich schon um den Nichtswürdigen, den Abscheulichen« – – Der alte Moor verbirgt sein Gesicht. Seht, Vater! ich lese Euch nur das Glimpflichste – »den Abscheulichen in tausend Tränen ergossen«, – ach, sie flossen stürzten stromweis von dieser mitleidigen Wange – »mir ists, als säh ich schon deinen alten, frommen Vater totenbleich« – Jesus Maria! Ihr seids, eh Ihr noch das mindeste wisset?
DER ALTE MOOR. Weiter! Weiter!
FRANZ. »Totenbleich in seinen Stuhl zurücktaumeln und dem Tage fluchen, an dem ihm zum erstenmal Vater entgegengestammelt ward. Man hat mir nicht alles entdecken mögen, und von dem wenigen, das ich weiß, erfährst du