: Rudolf Klein, Gunther Schmidt
: Alkoholabhängigkeit
: Carl-Auer Verlag
: 9783849781040
: 2
: CHF 21.80
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 221
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Für die Behandlung von Alkoholabhängigkeit setzen Krankenkassen und Rentenversicherer einen Rahmen, der das therapeutische Vorgehen und damit auch die Entwicklungsmöglichkeit von Klienten einschränkt. Rudolf Klein und Gunther Schmidt beschreiben erprobte Alternativen zu diesen Voraussetzungen, und zwar sowohl im Hinblick auf die mutmaßlichen Gründe für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit wie auch im Hinblick auf therapeutische Ziele und Behandlungsmethoden. Den herkömmlichen und gängigen psychotherapeutischen Methoden stellen sie moderne systemische und hypnosystemische Ansätze gegenüber. Deren Vorzüge werden an neuralgischen Punkten besonders deutlich, z. B. im Umgang mit Ambivalenzen und 'Rückfällen' oder bei der Arbeit in und mit Zwangskontexten. Vor dem Hintergrund ihrer jahrzehntelangen Praxis beschreiben die Autoren die Herausforderungen der ambulanten wie auch der stationären Behandlung. In zum Teil durchlaufenden Praxisfällen illustrieren sie die theoretischen und praktischen Besonderheiten der systemischen und der hypnosystemischen Therapie. Aus der erfrischenden Herangehensweise der Autoren ergeben sich zahlreiche Ideen für die Praxis nicht nur von Suchttherapeuten, sondern auch für Therapien mit anderen Störungsbildern und Problemlagen.

Rudolf Klein, Dr. phil.; Studium der Sozialpädagogik; Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut; Gruppentherapeut in einer Klinik für Alkohol- und Medikamentenabhängige, Mitarbeiter einer ambulanten psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle mit dem Schwerpunkt Sucht; Lehrtherapeut und Lehrender Supervisor der Saarländischen Gesellschaft für Systemische Therapie (SGST) und der Systemischen Gesellschaft (SG), Lehrtherapeut des Wieslocher Instituts für systemische Lösungen (wisl); Gastdozenturen in Luxemburg, Österreich, Polen, Russland, Schweiz, Ukraine; seit 2004 in freier Praxis tätig; Schwerpunkte: Ambulante Therapie für Menschen mit Alkoholproblemen und Alkoholabhängigkeiten, Lehrtherapeut für systemische Therapie und Beratung, Supervision in unterschiedlichen Kontexten, v. a. in ambulanten und stationären Einrichtungen der Therapie Abhängiger; Veröffentlichungen u. a.: 'Lob des Zauderns. Navigationshilfen für die systemische Therapie von Alkoholabhängigkeiten' (2014), 'Alkoholabhängigkeit' (2. Aufl. 2022, zus. mit Gunther Schmidt), 'Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung' (4. Aufl. 2020, zus. mit Andreas Kannicht). Gunther Schmidt, Dr. med., Dipl. rer. pol.; Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie; Mitbegründer des Heidelberger Instituts für systemische Forschung und Beratung, der Internationalen Gesellschaft für Systemische Therapie (IGST), des Helm-Stierlin-Instituts in Heidelberg und des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC). Gunther Schmidt ist Ärztlicher Direktor der sysTelios Privatklinik für Psychotherapie und psychosomatische Gesundheitsentwicklung sowie Leiter des Milton-Erickson-Instituts Heidelberg. 2011 erhielt er den Life Achievement Award der Weiterbildungsbranche.

1Schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit von Alkohol


1.1Vorbemerkungen


Diagnosen stellen in einem systemischen Verständnis sprachliche Bedeutungsverdichtungen als Ergebnis systematisierter Beobachtungsprozesse dar, die von einer autorisierten Personengruppe nach definierten, als allgemeingültig erklärten fachlichen Richtlinien durchgeführt wurden.

Ist eine Diagnose in diesem Sinne »gestellt«, wird sie in der Regel kommuniziert und dadurch als »Realität« gehandelt. Damit ist zumeist eine Vergegenständlichung bzw. Verdinglichung des diagnostisch beschriebenen Krankheitsbildes verbunden, dem implizit ein linear-kausaler Erklärungswert zugeschrieben wird: Herr Meier verhält sich so,weil er alkoholabhängig ist.

Diagnosen werden in klinischen Systemen aufgrund von Beobachtungen gestellt, die in diagnostischen Gesprächen bzw. in der Interaktion mit den Patienten erfolgen. Die für diagnostische Beobachtungen relevanten Informationen werden über kommunikative Prozesse gewonnen. Dabei ist der »Diagnostiker« immer Teil der Interaktion, steht mit dem Patienten, den er beurteilen will, in einer Wechselwirkung und kann daher nicht vom Objekt der Beobachtung getrennt werden. Jede Aktion eines Beobachters wirkt sich zwangsläufig auf das Beobachtungsobjekt aus. Jede Reaktion des Beobachtungsobjektes erfolgt in Abhängigkeit vom Beobachterverhalten – es entwickeln sich »Rückkopplungskreise« (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1990).

Diagnostische Prozesse unterliegen einer entscheidenden Restriktion, wenn es um sogenanntes süchtiges Verhalten geht: Wahrnehmungen, Beschreibungen und Bezeichnungen können lediglich auf die Informationen bezogen werden, welche die Patienten selbst über sich kommunizieren. Die Symptomatik an sich bleibt unsichtbar und verborgen. Kein Therapeut war anwesend, wenn die Patienten Alkohol getrunken haben. Insofern gründen sich Diagnosen, speziell im Suchtbereich, nie auf direkte Beobachtungen vom sogenannten süchtigen Verhalten, sondern immer nur auf Aussagen von Patienten über eigenes zurückliegendes Verhalten. Therapeuten können also nur Rückschlüsse ziehen und sind abhängig von der Bereitschaft ihrer Patienten, offen über ihre vergangenen Erfahrungen zu erzählen. Diese Bereitschaft wiederum wird beeinflusst davon, wie die Beziehungs- und Interaktionsgestaltung zum Therapeuten wahrgenommen und erlebt wird.

Diagnosen, als in diesem Verständnis aktiv konstruierte Ergebnisse von Beobachtungsprozessen, haben die Funktion, kommuniziert zu werden. Adressaten solcher diagnosebezogener Kommunikation können sich im selben klinischen Setting finden, wie z. B. Kollegen, Vorgesetzte, oder außerhalb, als kooperierende Personen (Haus- oder Fachärzte), Institutionen (Beratungsstellen oder Kliniken), Krankenkas