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Auf dem Weg nach Venedig verwandelte ein heftiger Gewittersturm die Autostrada in wenigen Minuten in ein reißendes Flussbett und brachte die labile Elektronik des altersschwachen Citroën GX zum Stillstand. Ein letztes Flackern und Zucken, dann versagte die Lichtanlage. Branco hatte gerade noch Zeit, das dunkle Auto auf den rechten Fahrstreifen zu steuern. Er konnte kaum etwas erkennen, der Regen peitschte über die Windschutzscheibe, die ausgeleierten Scheibenwischer sackten kraftlos herunter. Branco schlug wütend gegen das stumme Radio, Billie stemmte ihre nackten Füße gegen das Armaturenbrett.
»Du fährst zu schnell, Schatz«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Du verlierst die Kontrolle.«
»Ich hab einen beschissenen Laster am Arsch.«
»Dann lass ihn überholen.«
»Der Geisteskranke will einfach nicht!«
»Fahr rechts ran.«
»Es gibt keinen Haltestreifen.« Branco zerrte entnervt den Rückspiegel vor seine Augen. »Er hat die Fernlichter an, der Scheißtyp will uns fertigmachen.« Er ließ sich für ein paar Sekunden von den Scheinwerfern hinter sich blenden, dann drehte er den Rückspiegel zur Seite und drückte aufs Gas.
»Du fährst zu schnell, Branco.«
»Hör auf zu nerven, Billie. Wenn ich langsamer fahre, macht uns der Laster platt.«
»Du siehst doch überhaupt nichts mehr.«
»Ich kann aber nicht langsamer fahren, verdammt!«
Das Auto schlitterte fast aus der Kurve. Branco bremste abrupt ab, riss das Lenkrad nach links und beschleunigte wieder. Der Regen hatte die Fahrbahn schlüpfrig gemacht, und ein scharfer Wind rüttelte den Citroën kräftig durch. Ein Alfa Romeo raste so dicht an ihnen vorbei, dass Branco die Luft wegblieb. Die Dunkelheit vor seinen Augen wurde zu einer blinden, undurchdringlichen Mauer. Ein Crash, und alles wäre vorbei, bevor es begonnen hätte. Die Fernlichter eines weiteren Rasers explodierten vor seinen Augen wie Lasergeschosse und rissen ihn aus der Trance. Brancos rechter Fuß zuckte unentschlossen zwischen Bremse und Gaspedal, aber kurz bevor er die Stoßstange eines Anhängers rammte, der aus dem Nichts vor ihm auftauchte, fand er endlich in den richtigen Groove und entspannte sich etwas.
»Ich weiß, ich fahr zu dicht auf …«, brummte Branco.
Er erwartete einen Einwand von Billie, aber sie erwiderte nichts. Sie spielte nur abwesend an ihren nackten Zehen herum. Billie war alles andere als eine ängstliche, leicht einzuschüchternde Frau. Sie hatte in ihren sechsundzwanzig Jahren schon mehr erlebt, als ihr lieb sein konnte. Wobei ihr offenes, liebenswertes Gesicht mit den dunklen Augen und den schwarzen, glatten Haaren keine Spuren ihrer Vergangenheit zeigte. Sie wirkte noch immer jugendlich frisch, nur die Ernsthaftigkeit ihrer Züge gab ihr eine von Geheimnissen umwitterte Aura, die auf Distanz hielt.
»Ich glaube, wir sind ihn los«, sagte Billie.
Der Abstand zu dem Lkw hinter ihnen hatte sich sichtlich vergrößert. Die unmittelbare Gefahr war vorerst gebannt.
»Ja, ich habe ihn abgehängt«, sagte Branco.
Er fummelte eine Zigarette aus seiner Jacke und steckte sie an. Billie begann, leise eine Ballade zu summen, brach mitten in der traurigsten Stelle ab und starrte melancholisch in