PROLOG
„Du wolltest mich sprechen?“ Brisbane Westmoreland betrat Dillons kleines Arbeitszimmer.
Dillon musterte seinen jüngsten Bruder eingehend. „Ich wollte mich nur vergewissern, dass mit dir alles in Ordnung ist.“
Bane ging zum Fenster hinüber und betrachtete die Landschaft. Hier war er zu Hause. Er befand sich weder in Afghanistan noch in Syrien. Auch nicht in einem der anderen Länder, in denen er als Soldat im Einsatz gewesen war. Dort draußen erwarteten ihn keine Tretminen, Scharfschützen und Bomben. Wieder daheim zu sein machte ihn sehr glücklich.
Es war wundervoll gewesen, Thanksgiving mit seiner Familie zu verbringen. Wie bei jedem Erntedankfest hatten sie alle gemeinsam gegessen. Und wie immer waren sie nach dem Dinner ins Freie gegangen, um zusammen Volleyball zu spielen. Dann hatten die Männer sich zu einer Pokerrunde zurückgezogen, während die Frauen und Kinder im Wohnzimmer gemütlich beisammensaßen.
Dillon und Bane befanden sich nicht unter den Pokerspielern. Schweigend standen sie einander gegenüber. Letzterer konnte sich gut vorstellen, was seinem Bruder durch den Kopf ging. Seit er Westmoreland Country vor fünf Jahren verlassen hatte, war Bane ein anderer Mensch geworden. Den rebellischen Jugendlichen, der sich ständig in Schwierigkeiten gebracht hatte, gab es nicht mehr. Bane war vernünftiger, kräftiger, erwachsener geworden. Die Zeit bei der Spezialeinheit der US Navy hatte ihn verändert. Er war jetzt ein SEAL.
„Ich habe bei meinem letzten Einsatz einen guten Freund verloren“, sagte er. „Ansonsten geht es mir gut.“
Weil Dillon wusste, dass Bane nicht über seine Einsätze sprechen durfte, nickte er nur mitfühlend und meinte: „Hast du dich deshalb entschlossen, deinen Abschied zu nehmen?“
„Indirekt ja. Oder eigentlich nein … Jedenfalls ist mir klar geworden, dass ich Crystal endlich finden muss. Der Tod meines Freundes hat mir gezeigt, dass man nichts Wichtiges aufschieben sollte. Das Leben kann so schnell vorbei sein …“
Das wussten alle Denver-Westmorelands nur zu gut. Ihre Eltern waren vor vielen Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Daraufhin war Dillon als ältester zum Vormund seiner sechs Brüder Micah, Jason, Riley, Stern, Canyon und Bane bestimmt worden. Außerdem hatte er seinen Cousin Ramsey unterstützt, der sich um seine Geschwister Zane, Derringer, Megan, Gemma, Adrian, Aidan und Bailey kümmern musste. Tatsächlich war es Dillon und Ramsey gelungen, die Familie zusammenzuhalten. Darüber hinaus hatten sie sich in der Geschäftswelt bewährt. Ohne sie wäre die Blue Ridge Land Management Corporation, die von ihren Eltern gegründete Firma, niemals so erfolgreich geworden.
„Bitte, setz dich“, forderte Dillon seinen Bruder nun auf.
Bane wählte einen bequemen Lehnstuhl. „Laramie Cooper und ich haben gemeinsam die Akademie besucht“, sagte er. „Er war einer der Besten. Und er fehlt mir. Aber ich habe nicht meinen Abschied genommen. Unser gesamtes Team ist für drei Monate beurlaubt. Ich werde diese Zeit nutzen, um Crystal zu finden.“
Dillon runzelte die Stirn. Crystal bedeutete seinem Bruder also immer noch viel. Sie war der Grund dafür gewesen, dass alle Westmorelands Bane darin bestärkt hatten, zur Navy zu gehen. In den Jahren, in denen Crystal und Bane ein Paar gewesen waren, hatten sie mit ihrem Verhalten Freunde und Verwandte beinah in den Wahnsinn getrieben. Sie waren regelrecht besessen voneinander gewesen, hatten ihre Familien belogen und hintergangen, waren zusammen ausgerissen und gelegentlich mit dem Gesetz in Konflikt geraten.
„Hast du von Crystal gehört, seit ihre Eltern sie damals fortgeschickt haben?“, erkundigte Dillon sich.
„Ich habe gar nicht erst versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Du hattest recht, als du mir damals sagtest, sie habe etwas Besseres verdient als mich. Also habe ich begonnen, an mir zu arbeiten. Nun bin ich ihrer hoffentlich würdig.“
„Als du hier warst, um Jasons Hochzeit mit uns zu feiern, habe ich dir ja erzählt, dass die Newsomes fortgezogen sind, ohne ihre neue Adresse zu hinterlassen. Weil du schon damals nach Crystal gefragt hast, habe ich einen Privatdetektiv beauftragt, nach ihr zu suchen. Daher kann ich dir zumindest mitteilen, dass Carl Newsome inzwischen gestorben ist.“
„Das tut mir leid.“ Carl Newsome war nicht gerade einer von Banes engsten Freunden gewesen. Doch er wusste, dass Crystal ihren Vater geliebt hatte.
„Ich habe Mrs. Newsome angerufen, um ihr mein Beileid auszusprechen“, fuhr Dillon fort. „Und bei der Gelegenheit habe ich mich auch nach Crystal erkundigt. Angeblich geht es ihr gut.“ Er betrachtete Bane nachdenklich. „Eure Freundschaft liegt Jahre zurück. Seitdem ist viel geschehen. Crystal hat neue Erfahrungen gemacht und neue Menschen kennengelernt. Soweit ich weiß, studiert sie in Harvard.“
„Das wundert mich nicht. Sie hat schon immer leicht gelernt.“
Das war eine erstaunliche Feststellung, denn Bane und Crystal hatten damals ständig die Schule geschwänzt, anstatt zu lernen. Dann allerdings waren sie getrennt worden. Carl Newsome hatte seine Tochter zu einer weit entfernt lebenden Tante geschickt. Und Bane war in die Navy eingetreten. Tatsächlich hatte er in den vergangenen Jahren darauf verzichtet, nach seiner großen Liebe zu suchen, weil er Crystal die Möglichkeit geben wollte, etwas aus sich zu machen. Sie sollte die Chance bekommen, die Schule und auch ein Studium abzuschließen.
Dillon schwieg so lange, dass Bane verunsichert fragte: „Hast du mir irgendetwas Unangenehmes mitzuteilen?“
„Also … Ich bin mir nicht sicher, dass Crystal noch etwas für dich empfindet. Die erste Liebe ist keineswegs immer