Non omnis moriar
Horaz,Oden 3,30
2. Ungehaltener Nekrolog
David Hilberts Beerdigung muss als verunglückt gelten. Er war schon zum Zeitpunkt seines Todes unstreitig der bedeutendste Mathematiker seiner Zeit, also für sein Fach das, was Einstein für die Physik darstellte. Aber die Welt hatte, als er am 14. Februar 1943 starb, andere Sorgen. Das friedliche Dahinscheiden eines 81-jährigen Mathematikprofessors in Göttingen war ein entschieden undramatisches Ereignis in einer Zeit, in der ein jedes Leben in Europa und Asien jederzeit gewaltsam enden konnte. Die Trauergemeinde war überschaubar, sie bestand allenfalls aus einem Dutzend Personen, den letzten Relikten eines zehn Jahre zuvor untergegangenen goldenen Zeitalters.
Da Hilbert schon lange keiner Kirche mehr angehört hatte, fand die Zeremonie im Wohnzimmer im Erdgeschoss seines Hauses in der gutbürgerlichen Wilhelm-Weber-Straße statt. Der große Raum blickte in einen winterlichen Garten. Der angestaubten Einrichtung merkte man das Alter der Bewohner und die fortgeschrittene Erblindung der Hausfrau deutlich an.
Arnold Sommerfeld, neben Max Planck der Doyen der in Deutschland verbliebenen Physiker und mit 81 Nominierungen so oft wie kein anderer für den Nobelpreis vorgeschlagen, war aus München gekommen und hielt eine kurze, unbeholfene Ansprache auf den hohen Toten, die sich im Wesentlichen auf eine Aufzählung von dessen akademischen Leistungen beschränkte. Constantin Carathéodory, ein im Osmanischen Reich aufgewachsener Mathematiker, vielleicht der wichtigste von den in Deutschland verbliebenen, ließ sich entschuldigen, schickte aber einen kurzen Nachruf. Sein kurzer Text, ebenfalls kein großer Wurf, wurde unter Tränen verlesen und handelte immerhin am Rande von Hilberts Persönlichkeit.
Die Grabredner hatten einen verlässlichen Freund vom Schlage eines ostpreußischen Bauern verloren, zugleich aber auch den Mentor der gesamten mathematischen Naturwissenschaften. Über das Wichtigste im Lebenslauf des Toten konnte freilich kaum geredet werden. Das nämlich waren die endlosen Gespräche auf den immer gleichen Wanderungen, die Hilbert mit seinen Studenten, Assistenten und Kollegen unternommen hatte. Dabei war ein einzigartiges Netzwerk entstanden, in welchem Logik, Mathematik, Physik und Philosophie so eng wie nie zuvor miteinander verwoben waren. Die w