Geteiltes Leid ist halbes Leid
Einen Moment lang spielte Werner Kronberg ernsthaft mit dem Gedanken, seiner Frau Marianne die Nase zuzuhalten, wissend, ihr Schnarchen würde nach einem Augenblick des Luftanhaltens mit einem erstickenden Kehllaut enden. Anschließend würde sie etwas Unverständliches brummen oder grunzen, so genau hatte er das noch nie differenzieren können, um dann beleidigt und theatralisch ihre beträchtliche Masse auf die Seite zu wälzen.
Meist schlief sie sofort wieder ein. Nur selten stand sie auf und ging in die Küche, um nach den versprengten Resten des Abendmahls zu fahnden oder sich mithilfe mehrerer Stücke Schokolade ein paar Glückshormone zuzuführen. Das Risiko wollte Kronberg heute nicht eingehen.Soll sie schnarchen, dachte er und schaute erneut auf die rötlichen Ziffern der Uhr.
Seit seinem letzten prüfenden Blick waren nicht einmal fünf Minuten vergangen. Noch eine gute Stunde würde er es ertragen müssen. Die Gefahr einzuschlafen bestand nicht, dafür würde sie schon sorgen. Wieder überlegte er sich, ob alles perfekt vorbereitet war, verwarf aber dann den Gedanken. In den letzten zwei Stunden hatte er seinen Plan genauestens geprüft und ihn als vollkommen eingestuft.
Wann Marianne das erste Mal geschnarcht hatte, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Der Einfachheit halber entschied er, dass die ersten, noch dezenten Töne, beim Überschreiten der kritischen Masse von achtzig Kilo eingesetzt hatten. Seit gut einem Monat waren sie neunzehn Jahre verheiratet und die Aussicht, dass dieses Geräusch nicht nur lauter, sondern auch noch einige Oktaven tiefer werden würde, ließ ihn fast verzweifeln. Auch wenn er nicht an Gott glaubte, sein gedanklicher Stoßseufzer galt vorwurfsvoll einer höheren Instanz.Warum nur mutierten Frauen, die sich ihrer Männer amtlich versichert hatten, zu derartigen Masseansammlungen?
Im Grunde genommen war sie nie schlank gewesen, sondern von Natur aus etwas üppig, mit kurzen braunen Haaren und einer Stupsnase. Durchaus eine Schönheit, damals. Alle Freunde hatten ihn um so viel Frau beneidet. Heute glich die Nase eher einer Kartoffel. Was früher feste und zugegebenermaßen reizvolle Rundungen gewesen waren, hatte sich zu wabbligem Wellfleisch gewandelt, das, so schien es ihm, nur noch von rosiger Haut zusammengehalten wurde. Sicher, auch an ihm war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Auch sein Körper war eindeutig zu klein für sein Gewicht. Er war sich dessen durchaus bewusst. Nach seiner Einschätzung handelte es sich um einen vorübergehenden Zustand, eine Konsistenz, die sich durch ein bisschen Training und Bewegung in Muskeln verwandeln ließ, wenn er wollte. Nur, solange er an Marianne gebunden war, gab es keinen wirklichen Grund, daran etwas zu ändern.
Als ein besonders langanhaltender, sich proportional beschleunigender und lauter werdender Sägeton das gemeinsame Schlafgemach füllte, wäre er am liebsten aufgestanden. Misstrauisch, wie sie war, würde sie es bemerken und ihn mit sinnlosen Fragen malträtieren.Nein, ich stehe das durch, redete er sich zu.
Ihr erstes Schnarchen, ging es Kronberg durch den Kopf, musste zu jenem Zeitpunkt eingesetzt haben, als das SchlachtschiffBismarck beim Abstauben aus unerklärlichen Gründen aus dem Regal gestürzt war. Das war kurz nach ihrem dritten Hochzeitstag geschehen. DieBismarck war der ganze Stolz seiner Modellbautätigkeit und hatte ihn vierhunderteinundsiebzig Mannstunden Arbeit gekostet. Damals war er noch jung, verliebt oder blind gewesen. Der Gedanke, dass es sich womöglich um ein Attentat gehandelt haben könnte, kam ihm erst Monate später.
Am Anfang ihrer Ehe hatten sich diverse Puppen aus zwei Jahrhu