: Wolfgang Schmidbauer
: Jetzt haben, später zahlen Die seelischen Folgen der Konsumgesellschaft
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783688105083
: 1
: CHF 10.00
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: Angewandte Psychologie
: German
: 254
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
«Jetzt kaufen, später bezahlen ...» - inzwischen leben wir in den reichen Industrieländern alle nach dieser Devise. Wir verprassen die Ressourcen, von denen die folgenden Generationen leben müssen. Und wir wissen, wenn wir es wissen wollen, genau, was wir tun. Und tun es trotzdem. Warum? Wolfgang Schmidbauer untersucht die Frage nach den Gründen dieser Verblendung mit dem Instrumentarium der Psychologie des Unbewußten. Die Freiheit zu grenzenlosem Komfort muß, das wissen wir alle, eingeschränkt werden. Das wird nicht möglich sein, ohne Disziplinierung unserer Gier nach mehr, mehr, mehr. Die Konsumgesellschaft hat nur dann eine Überlebenschance, wenn die Bedeutung sozialer Disziplin neu erkannt und mit politischer Macht verstärkt wird. Ein eindringlicher Appell gegen Selbstbetrug und für kritische Reflexion

Wolfgang Schmidbauer wurde 1941 geboren. 1966 promovierte er im Fach Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universitä München über «Mythos und Psychologie». Er lebt in München und Dießen am Ammersee, hat drei erwachsene Töchter und arbeitet als Psychoanalytiker in privater Praxis. Neben Sachbüchern, von denen einige Bestseller wurden, hat er auch eine Reihe von Erzählungen, Romanen und Berichten über Kindheits- und Jugenderlebnisse geschrieben. Er ist Kolumnist und schreibt regelmäßig für Fach- und Publikumszeitschriften. Außerdem ist er Mitbegründer der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse und der Gesellschaft für analytische Gruppendynamik.

2Das Trojanische Pferd


Timeo Danaos et dona ferentes.

Achilles war tot, es wurde die Stunde von Odysseus. Dieser ersann eine List: das heilige Roß Poseidons überlebensgroß und mit verborgenen Kriegern gefüllt den Trojanern als Abschiedsgeschenk anzubieten. Vergeblich sagte Laokoon, was oben zitiert ist. Die Trojaner glaubten sich vom Krieg erlöst und holten ihren eigenen Untergang in den Ring ihrer Mauern; die versteckten Kämpfer töteten die Wachen, öffneten die Tore, Troja wurde geplündert und verbrannt.

Auch wir haben in der Hoffnung auf ein großes Geschenk Gefahren in unsere einst enge und beschützte Welt geholt, die eine globale Brandkatastrophe nicht mehr unmöglich erscheinen lassen. Charles Perrow hat nicht nur die unvermeidlichen Risiken der Großtechnik benannt, sondern auch die Szenarien der Katastrophenverdrängung. Beim nächsten «Unfall» werden wahrscheinlich wie bei den bisherigen die am stärksten Betroffenen als letzte informiert, wird der Unfall zunächst als Bedienungsfehler oder als Versagen eines leicht ersetzbaren Elements hingestellt, um die Frage nach dem Verzicht auf das gefährliche Gesamtsystem gar nicht erst aufkommen zu lassen, spielen Vertuschungsmanöver in allen nachfolgenden Untersuchungen eine große Rolle. Ist das Risiko endlich nicht mehr zu leugnen, wird es als absolut notwendig dargestellt, wenn wir nicht zurück in die Steinzeit wollen.

Nach der letzten einschlägigen Katastrophe, jener von Tschernobyl, hätte ganz Weißrußland evakuiert werden müssen, nicht nur das Gebiet im Radius von dreißig Kilometern um den Reaktor. Es gibt praktisch keine Chance, sich auf solche Szenarien vorzubereiten oder vor ihnen zu schützen. Nur wenn sie niemals eintreten, wäre die Atomenergie zu rechtfertigen. Die Katastrophe trifft das arme Bäuerlein, das mit einer Petroleumlampe zu Bett geht, ebenso wie den Konsumenten, der auf den Komfort eines elektrifizierten Haushaltes nicht verzichten kann. Sie verseucht das Anwesen mit der Solarzelle auf dem Dach ebenso wie die Aluminiumfabrik. Anders als bei einer Vulkankatastrophe oder einem Erdbeben müssen sich die Opfer mit der klaren Erkenntnis auseinandersetzen, daß dieses Unglück vermeidbar gewesen wäre. Wer von den Hunderttausenden, die an den Folgen der Atomkatastrophe in der Ukraine und in Weißrußland leiden und von denen die meisten noch nicht geboren sind, hat eine Wahl zwischen den Segnungen des Komforts der Verschwendungselektrifizierung und der Zerstörung von Heimat und Leben? Werden die Stromproduzenten und Stromverbraucher schonvor einer solchen Katastrophe umdenken?

Die Spanne des Aufatmens nach einer großen Anstrengung birgt Gefahren. Der Wechsel von der Industrie- in die Konsumgesellschaft hat diese Qualität. In den Anfängen der Industrialisierung war klar, daß die Versorgung aller Menschen mit lebensnotwendigen Gütern harte Arbeit und ständiges Ringen mit Widerständen der Materie und mit rückständigen sozialen Strukturen voraussetzt. Gleichzeitig machte sich der Optimismus breit, daß der wissenschaftliche und technische Fortschritt moralische Fortschritte ermöglichen, ja erzwingen würde. Anders als die neolithische Umwälzung durch Ackerbau und Viehzucht beruhte die industrielle Revolution auf durchdachten Projekten. Das weckte den Glauben, daß es möglich sein müßte, auch die Humanität zu planen und zu verwirklichen.

Mit dem Schritt zur Konsumgesellschaft hat sich diese Situation grundlegend geändert. Ihre Anfänge liegen in den Desillusionierungen des Ersten Weltkriegs. In den Materialschlachten