: Klabund
: Jürgen Schulze
: Erotische Erzählungen 10 kleine Geschichten
: Null Papier Verlag
: 9783962810023
: Erotik bei Null Papier
: 2
: CHF 0.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 66
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
10 kleine und feine erotische Gesichten von einem der größten Sprachkünstler des deutsche (Literatur-) Impressionismus. Klabund (1890-1928), oder eigentlich Alfred Henschke mit richtigem Namen, war ein deutscher Schriftsteller, Dichter und Dramatiker, treibend zwischen Impressionismus und Expressionismus. Seine Werke waren oftmals erotisch geprägt und daher häufigen Anfeindungen ausgesetzt. Null Papier Verlag

Klabund (1890-1928), oder eigentlich Alfred Henschke mit richtigem Namen, war ein deutscher Schriftsteller, Dichter und Dramatiker, treibend zwischen Impressionismus und Expressionismus. Seine Werke waren oftmals erotisch geprägt und daher häufigen Anfeindungen ausgesetzt.

Das Lächeln der Margarete Andoux


Für Fie­te Wil­helm

Sie war die Uren­ke­lin fran­zö­si­scher Emi­gran­ten.

Mar­ga­re­te An­doux’ Lä­cheln hing wie ein ewi­ger Früh­lings­him­mel über der klei­nen Stadt. Was wäre die klei­ne Stadt ohne Mar­ga­re­te An­doux’ Lä­cheln? Wer wüss­te von ihr? Von ih­rem pol­nisch zi­schen­den Na­men, ih­ren schmut­zi­gen, gleich­gül­ti­gen Stra­ßen? Wie könn­te ich eine Ge­schich­te von ihr er­zäh­len, wenn Mar­ga­re­te An­doux nicht wäre? Ihr Lä­cheln flat­ter­te in die duns­ti­gen Kon­to­re, die schlecht be­lich­te­ten Lä­den, die en­gen und trü­ben mö­blier­ten Zim­mer. Durch die Fens­ter der Schul­häu­ser, wenn sie auch zur Hälf­te ge­weißt wa­ren, da­mit kein Unauf­merk­sa­mer sei­ne Bli­cke auf die Gas­se spa­zie­ren schi­cke, glitt die­ses Lä­cheln wie Mor­gen­son­ne in die kah­len Räu­me. Der Leh­rer rück­te un­ru­hig und ver­le­gen an sei­ner Doublé­bril­le und zwin­ker­te mit den Au­gen, als ob ihm ein In­sekt hin­ein­ge­flo­gen wäre. Die halb­wüch­si­gen Schü­ler aber, die­se Ben­gel, die eben erst an­fin­gen, se­hen, hö­ren und füh­len zu ler­nen, sa­ßen steif und ver­dutzt da und trie­ben in ih­ren dum­men See­len an­däch­ti­gen Un­fug mit Mar­ga­re­te An­doux’ Lä­cheln.

Schon der Name, wenn man ihn wie eine De­li­ka­tes­se in den Mund nahm: Mar­ga­re­te An­doux. Die Zun­ge strei­chel­te ihn und woll­te ihn nicht los­las­sen und hielt ihn zu­rück, bis er sich end­lich lös­te und in ei­nem Dur­moll – »doux« – hinstarb, das in ein fle­hen­des »du« hin­über­g­litt.

Alle lieb­ten sie Mar­ga­re­te An­doux. Der zwer­gi­ge, aber groß­spu­ri­ge Tuch­fa­bri­kant Kel­ler­mann, der das Ge­schäft von sei­nen Vä­tern ge­erbt hat­te, nie aus der Klein­stadt her­aus­ge­kom­men war, aber in der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung ein ge­wal­ti­ges Maul führ­te, er schrumpf­te samt sei­nem Maul in ein wahr­haf­tes Nichts zu­sam­men, wenn er Mar­ga­re­te An­doux be­geg­ne­te, und trug sei­nen Hut wie vor der Mut­ter­got­tes min­des­tens zehn Mi­nu­ten in den Hän­den, ehe er ihn wie­der auf­setz­te. Er lieb­te Mar­ga­re­te An­doux. Der geist­vol­le Ober­leh­rer Klin­ge­bi­el, der den Dok­tor, vie­le Rei­sen und in ei­ner acht­jäh­ri­gen Ehe sie­ben Kin­der ge­macht hat­te: Er lieb­te Mar­ga­re­te An­doux. Der Bäcker­jun­ge, der die Sem­meln zu Mar­ga­re­te An­doux’ Tan­te brach­te, bei der sie wohn­te: Er lieb­te sie. Der Ta­pe­zie­rer, der die Gar­di­nen fest­ste­cken kam, der Ofen­set­zer, der Bür­ger­meis­ter, der klei­ne, schüch­ter­ne Se­kun­da­ner Breg­ler, der täg­lich zum lie­ben Gott be­te­te, er möge ihn so schön wie Schil­ler dich­ten las­sen, der ver­sof­fe­ne Stadt­lump und ver­kom­me­ne Uhr­ma­cher, ge­nannt »der schö­ne Os­kar«, der Stu­dent der Theo­lo­gie Herr Bö­ser­le, der Apo­the­ker­lehr­ling – alle, alle lieb­ten sie Mar­ga­re­te An­doux.

Die Frau­en aber hass­ten Mar­ga­re­te An­doux und ihr Lä­cheln, das ih­nen die Au­gen und Her­zen ih­rer Män­ner ab­spens­tig mach­te. Am meis­ten aber war Mar­ga­re­te An­doux ge­hasst von Isa­bel­le Kers­ten. Das war das zweit­schöns­te Mäd­chen der Stadt und ihre bes­te Freun­din. Da­mals hock­te in der klei­nen Stadt ein ver­bum­mel­ter Stu­dent der Jura, der wohl zwölf Se­mes­ter auf sei­nem krumm ge­bo­ge­nen Rücken schlepp­te. Nach­dem sein Va­ter erst kürz­lich fünf­tau­send Mark Schul­den schwe­ren und schmer­zen­den Her­zens für ihn be­zahlt hat­te – gab er ihm nun zum letz­ten Male Geld, dass er sich in der Ruhe der Länd­lich­keit auf sein Ex­amen vor­be­rei­te.

Adal­bert Klin­ger trug kreuz und quer lan­ge und kur­ze Schmis­se von sei­ner Bur­schen­schafts­zeit her auf der lin­ken Wan­ge und auf der Stirn, die un­na­tür­lich tiefrot, wie mit ro­ter Tin­te ge­zeich­ne­te Stri­che, auf der blass­gel­ben Haut la­gen. Der Al­ko­hol trieb sie auf. Adal­bert Klin­ger soff. Aber sei­ne ru­hi­gen, brau­nen, halb­zu­ge­knif­fe­nen Au­gen und der sinn­li­che, et­was schie­fe Mund üb­ten eine ver­wir­ren­de Wir­kung auf die Frau­en. Alle Frau­en der klei­nen Stadt lieb­ten ihn, den die Män­ner we­gen sei­ner schlaf­fen Un­fä­hig­keit zur Ar­beit ver­ach­te­ten. Des Has­ses hiel­ten sie ihn nicht ein­mal wert. Am meis­ten aber lieb­te ihn Isa­bel­le Kers­ten.

Die­ser Adal­bert Klin­ger al­lein von al­len Män­nern grüß­te Mar­ga­re­te An­doux nicht. Er sah nicht ein­mal hin, wenn er ihr auf der Stra­ße be­geg­ne­te, den Man­tel­kra­gen auf­ge­klappt, den Ober­kör­per nach vorn ge­beugt, die Zi­ga­ret­te im Mund­win­kel.

Mar­ga­re­te An­doux wun­der­te sich. Sie nahm sonst Hul­di­gun­gen lä­chelnd, selbst­ver­ständ­lich ent­ge­gen. Wa­rum grüß­te sie die­ser… die­ser Mensch nicht? Kann­te er sie nicht? Er kann­te doch alle Frau­en der Stadt und grüß­te sie. Und die Mäd­chen wa­ren ins­ge­samt in ihn ver­liebt – wie konn­te er sich er­fre­chen, sie zu über­se­hen?

Sie sprach mit Isa­bel­le Kers­ten, die im ge­hei­men Tri­umph und Scha­den­freu­de emp­fand.

»Er kennt dich wahr­schein­lich nicht«, sag­te Isa­bel­le Kers­ten. »Ist er dir schon vor­ge­stellt? Nein? Na also.«

Zum Pro­me­na­den­kon­zert, das die Stadt­ka­pel­le sonn­tags auf dem Markt­plat­ze ver­an­stal­te­te, spa­zier­ten Mar­ga­re­te An­doux und Isa­bel­le Kers­ten weiß­vio­lett Arm in Arm.

Adal­bert Klin­ger trot­te­te des We­ges.

»Pass auf«, sag­te Isa­bel­le Kers­ten. »Er kennt mich, er …«

Isa­bel­le Kers­ten er­bleich­te. Adal­bert Klin­ger war vor­bei und hat­te nicht ge­grüßt. Sie warf die Schuld auf ihre Freun­din.

»Er lei­det dich nicht«, mein­te sie spöt­tisch.

Mar­ga­re­te An­doux zuck­te die Ach­seln und schwieg nach­denk­lich. Was hat­te er ge­gen sie? Und wie sie sich müh­te und kämpf­te, ihre Ge­dan­ken ka­men nicht von ihm los. Sie litt, aber sie wuss­te sich nicht zu hel­fen. Sie fühl­te einen Zwang in sich, Adal­bert Klin­ger in­nen und au­ßen zu be­trach­ten. »Ich wer­de ihn zu Ende den­ken«, dach­te sie.

Und sie lag die Nacht wach und grü­bel­te.

Schat­ten flo­gen über sie hin, und in den Din­gen war ein dunkles Sum­men und Sin­gen. Wo habe ich die­se ein­tö­ni­ge Me­lo­die schon ge­hört? Es ist nur ein Ton und doch eine Me­lo­die. Und nie­mand kennt den Ton. Alle ha­ben ihn in sich, und kei­ner kann ihn sa­gen oder sin­gen.

Mar­ga­re­te An­doux wur­de un­ru­hig. Die­sem Man­ne ge­gen­über, der sie nicht kann­te und dem ihr Lä­cheln gleich­gül­tig war, ver­lor sie ihre Si­cher­heit. Sie emp­fand schreck­haft, wie sie sich mit ihm be­schäf­tig­te und in ihn hin­einsank.

Sie such­te nun, ihn auf der Stra­ße zu tref­fen, lief im Re­gen an sei­ner Par­terre­woh­nung ohne Schirm vor­bei, dass er hin­aus­kom­men möge und ihr sei­ne Beglei­tung an­bie­te. Sie er­fuhr, wann er zum Däm­mer­schop­pen ging, und lau­er­te ihm förm­lich auf. Wenn er sich nä­her­te, lä­chel­te sie. Das Lä­cheln bat um Mit­leid. Ohne sie an­zu­se­hen oder den Kopf zu wen­den, schlen­ker­te er an ihr vor­bei. Sie fie­ber­te: Was woll­te er von ihr? Was schlug er sie, was trat er sie mit Fü­ßen? – Und sie...