In der geräumigen Küche von Tante Domenica wartete Marco inmitten der Verwandten, gleich ihm fast alle Brüder, Vettern oder Neffen väterlicherseits der Abgeschiedenen, die mit ihren Frauen oder Männern und Kindern zum Begräbnis zusammengeströmt waren, auf den Beginn der Leichenfeier. So zahlreich waren sie erschienen, daß er, der seit einigen Jahren in der Ferne lebte, ganz erstaunt war, als er sie nun alle beisammen sah, und, allerdings ohne viel Erfolg, eine Rechnung aufzustellen, die jüngeren Familienmitglieder ihrer Ähnlichkeit nach den betreffenden Eltern zuzuordnen versuchte. Wenn er bedachte, daß zu Ende des letzten Jahrhunderts der Großvater als einziger der Serazzi-Sippe im Dorf verblieben war, um den Namen der Familie lebendig zu erhalten, während alle anderen durch Unglücksfälle umgekommen oder ausgewandert waren, schien es ihm geradezu unmöglich, daß diese ganze Schar seinen patriarchalschen Lenden entsprossen sei, um zu der erschreckenden Bevölkerungszunahme der Welt das ihre beizutragen.
Männer, Frauen, Kinder drängten sich in der Küche und im Gang. Nur die Vorratskammer auf der anderen Seite blieb durch die Stille des Todes vor dem Lärm bewahrt. Dort war er kurz vorher eingetreten, um der Tante den letzten Gruß zu entbieten. Er war einen Augenblick lang neben dem schon verschlossenen Sarg gestanden, ohne daß es ihm gelang, irgendeinen Gedanken in sich zu entdecken, außer einem allgemeinen Gefühl der Traurigkeit über die verfließende Zeit, die vertraute und geliebte Erscheinungen auslöscht und andere, ebenso vergängliche entstehen läßt. Er war auch nicht imstande, ein Gebet, ein Requiem, in Worte zu fassen, wie es sicherlich die anderen, die vor ihm an der Bahre vorbeidefiliert waren, getan hatten und wie es eben jetzt auch einige Frauen taten, vermutlich entfernte Verwandte oder Kirchenfreundinnen der armen Tante, die in ihren dunklen Kleidern schweigend an der Wand standen, den Rosenkranz in den gefalteten Händen, während Perle um Perle von Daumen und Zeigefinger ertastet wurde, um dann, wenn das Avemaria zu Ende war, gleichsam von einem winzigen Automaten verschluckt, in der Hand zu verschwinden. In dem herrschenden Halbdunkel war es kaum zu merken, daß sie beim Erscheinen jeder neuen Person die Lider aufschlugen und den Blick zur Tür schweifen ließen, um ihn, sobald sie den Namen, den Verwandtschaftsgrad und den Gesundheitszustand des Eingetretenen festgestellt hatten, gleich wieder zu senken und in ihre archaische Regungslosigkeit zurückzukehren.
Doch er fühlte sich von ihnen beobachtet und somit gezwungen, seine Ehrfurchtsbezeugung vor der sterblichen Hülle auszudehnen, sich in dieser unwirklichen Stille länger ihren verstohlenen Blicken auszusetzen. Er wußte, daß die schwarzen, silberbefransten Vorhänge, die ringsum drapiert waren, alte Lärchenholzregale verdeckten; um seine Gedanken zu beschäftigen, suchte er sich zu vergegenwärtigen, wie sie an den Wänden entlangliefen, vollgestopft mit allen möglichen Töpfen und Schüsseln aus Stein und Steingut, mit Säcken und Büchsen und anderen ausgedienten Gegenständen, die hier ordentlich verwahrt wurden. Da gab es vor allem Schöpfkellen und Löffel zum Abrahmen in allen möglichen Größen und altertümlichen Formen, Becken, Kannen, Buttermodeln, konzentrisch ineinandergesteckte Rahmen für die Käseformen, Butterfässer, Molke- und Pökelfäßchen aus Ahorn-, Eschen- und Eichenholz mit Maßeinteilung in präziser Einlegearbeit, alles wie es der Großvater vor vielen Jahren, nach seiner letzten Alpfahrt, mit weiß Gott welch bekümmerten Gedanken hier versorgt hatte und wie es seither treulich aufbewahrt wurde, als könnte es noch jemandem dienen – und vielleicht hatten sogar schon die Hände von Altwarenhändlern darin herumgewühlt, die es nicht erwarten konnten, in diesen Zeugnissen uralten Duldens zu stöbern und zu kramen. Jetzt hatte man diese Dinge verborgen, beinahe als wären sie des Mysteriums des Todes nicht würdig; doch sie waren mit dem ewigen Schlaf der Tante, die man gleichfalls mit geduldiger Sorgfalt in ihren Sarg gebettet hatte, inniger verbunden als die ringsum ausgespannte, fransengezierte Dekoration, die man vielleicht ursprünglich gar nicht in Aussicht genommen hatte, aber schließlich nicht umgehen konnte, aus Platzgründen und wahrscheinlich auch weil es jetzt, da der Dorftischler sich vornehm als Leichenbestattungsunternehmer etabliert hatte, eine Belei