Kapitel 1 - Alleingelassen
Sorgfältig rollte Luzia das Halstuch zusammen und verstaute es in der Satteltasche. Sie wandte sich zu der nach Lavendel duftenden Kleidertruhe und suchte ein Leibchen aus besonders dicker Wolle heraus, während Lukas das Tuch mit einem unwilligen Laut aus der Tasche herausnahm und auf die Kommode legte.
»Schatz, ich werde einen Schal um den Hals tragen, wenn ich losreite. Was soll ich mit noch einem?«
Einerseits sah sie seine Argumentation ein, andererseits fühlte sie sich hundsmiserabel bei dem Gedanken, dass Lukas mitten im Winter den Thüringischen Wald bereiste. »Du wirst erfrieren. Je höher die Berge, desto kälter die Nächte. Zusätzliche Kleidung kann nicht schaden.«
»Was glaubst du, wohin ich reise? Mühlhausen liegt nicht im Orcus. In den Nächten werde ich mir ein lauschiges Stübchen suchen und auf gar keinen Fall zwei Tücher um den Hals tragen. Bitte lass mich alleine mein Gepäck zusammenstellen!«
Diesen knurrigen Unterton kannte Luzia. Nicht mehr lange und Lukas würde sie anschreien. Das kam zwar nicht häufig vor, aber wenn, dann gewitterte es heftig. Wutschnaubend verzogen sie sich zu solchen Zeiten in entgegengesetzte Ecken des Hauses und wollten stundenlang nichts mehr voneinander wissen, bis sie sich besannen und um Verzeihung baten, wobei der eine die Beteuerungen des anderen nicht gelten ließ und die Schuld nur bei sich suchte. Es endete mit herzlichen Küssen, bis sie nicht mehr voneinander lassen konnten und auch schon mal am helllichten Tag im Schlafzimmer verschwanden. Oder Lukas legte den Riegel vor die Tür seines Laboratoriums und Luzia zeigte ihm, wozu sein bequemer Lesestuhl sonst noch zu gebrauchen war. Der Schwägerin erzählte Lukas hinterher, er brauche Luzia dringend für Experimente. In Erinnerung daran, was Magdalene sich wohl darunter ausmalte, verschluckte Luzia ein Kichern. Nein, sie durfte Lukas auf gar keinen Fall reizen. So erquickend jedes Mal die Versöhnung auch war, dieses Mal wollte sie in Hinblick auf den vorausgehenden Streit darauf verzichten. Sie seufzte.
»Wenn du mir versprichst, es immer warm zu haben …«
Lukas hob den Kopf aus der Tasche. Weil er sein Lachen unterdrücken wollte, wurde ein Schnauben daraus, was aber nicht verhinderte, dass sein Gesicht sich lustig verzog. »Was verlangst du von mir? Sicher werde ich frieren und fluchen, dass ich den Auftrag annahm! Jede einzelne Stunde muss ich mich nach dir sehnen und deine warme Umarmung vermissen.«
»Dann nimm mich mit!«
Erschrocken schlug Luzia die Hand vor den Mund, dem diese Äußerung entflohen war. Wie oft hatten sie diese Diskussion schon geführt? Er wollte sie nicht mitnehmen! Jedes Argument, das Luzia äußerte, focht er nieder: Es verlief meistens zum Schlechten, wenn er allein reiste; Luzia stellte irgendetwas an ohne ihn; sie blamierte ihn in der Gesellschaft; es kam unweigerlich zum Streit zwischen ihr und der Schwägerin … nichts konnte seine Meinung ändern. Er schmetterte jede ihrer Begründungen ab, bis sie aufgab.
»Herrgott im Himmel!« Jetzt wurde Lukas doch laut. Luzia senkte verschämt den Kopf. Er hatte vor der Abreise an genug zu denken, ohne sich auch noch über die verstockte Ehefrau zu ärgern. »Dann kommst du eben mit.«
Luzia hob zu einer Entschuldigung an, als ihr der Sinn seiner Worte aufging. »Mitkommen. Ich. Mit dir«, stotterte sie.
Er richtete sich auf und grinste sie an. »Ja, willst du nun oder nicht?«
Sie sperrte den Mund auf und fühlte, wie ein Schwindel durch ihren Kopf zog. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie ihrem Mann ohnmächtig vor die Füße fallen. Angestrengt schlug sie die Zähne zusammen, schüttelte den Kopf, dann nickte sie. »Mitkommen. Sich