Der Aufmarsch
München, 12. August, im Jahre des Herrn 1634
Aus der Narrenkeuche erklang der Schrei eines dort Angeketteten, hallte grausig über den Hof und jagte Jakoba trotz der Hitze einen Schauer über den Rücken. Die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Sie schauderte, rieb sich fest die Arme, um das Gefühl zu vertreiben. Der Schrei verwehte und endete in lang gezogenem Wimmern, hinterließ eine böse Ahnung in der Sommerluft.
Die Augustsonne hatte ihren höchsten Stand erreicht. Erbarmungslos brannte sie vom Himmel herunter in den Innenhof des Heilig-Geist-Spitals und verwandelte ihn in einen Backofen. Der Platz wurde an der einen Seite von der Heilig-Geist-Kirche, an der anderen vom Weiberspital und der vorderen Spitalküche eingefasst, in der für die begüterten Pfründner gekocht wurde. Das Heilig-Geist-Spital war ein riesiger Komplex und Jakoba fühlte sich manchmal, als befände sie sich in einer Stadt in der Stadt. Sie liebte die Lebendigkeit dieses Ortes.
Ihr Blick wanderte zur Heilig-Geist-Kirche, ein Längsbau mit mächtigem Satteldach und glatten Wänden, deren Eingang im Innenhof lag. Das Gotteshaus strahlte in seiner Einfachheit eine ruhige Würde aus, die Jakoba ein Gefühl von Geborgenheit vermittelte. Neben den Benefiziantenhäusern, in denen die Geistlichen lebten, die für die reichen Bürger täglich die Messe lasen, und den Siechenhäusern gab es eine Gebärstube für Frauen ohne Unterkunft, eine Mühle, eine Bäckerei, eine Badestube und sogar eine Brauerei.
Jakoba stemmte die Fäuste ins Kreuz und stöhnte. Ihr Rücken schmerzte höllisch. Die letzten Stunden hatte sie damit verbracht, in dem großen Bottich die Kleidung der Waisenkinder zu waschen und auszuwringen.
Sie beugte sich über die Lauge und betrachtete ihr verzerrtes Spiegelbild. Bernsteinfarbene Augen blickten ihr grimmig entgegen, das Kinn war angestrengt nach vorne geschoben, die glatte Haut von der Hitze gerötet.
Verstimmt über den Anblick schlug sie auf die Wasseroberfläche, sodass ihr Gegenüber sich in kleinen Laugenwellen auflöste. Sie richtete sich auf und streckte sich ächzend. Eine Strähne hatte sich unter ihrer Haube hervorgeschmuggelt und kitzelte sie am Hals. Ungeduldig stopfte sie die Haare unter die Kopfbedeckung zurück, als sie Pater Martin durch das Tor eilen sah. Der sonst besonnen einherschreitende Gottesmann wirkte aufgeregt und voll Sorge.
Zwei Männer, zwischen sich eine Bahre, folgten ihm und verschwanden auf Pater Martins Wink eilig im Spital.
Im nächsten Augenblick kam Mina, eine junge Magd, aus Leibeskräften schreiend über den Hof gerannt. Sie verhedderte sich in ihrem Rock, taumelte und stürzte vor Jakoba zu Boden.
»Wir werden alle sterben! Der Schwarze Tod ist in der Stadt!«
Jakoba starrte sie an. Eiseskälte kroch ihr den Rücken hinauf.
»Die Bäckerswitwe, die Gebhartin Marie aus der Sendlingerstraße, haben sie ins Rauchhaus im Spital gelegt! Es ist die Pest, die Pest ist ausgebrochen!«
Das Grauen stand Mina ins Gesicht geschrieben, die Augen weit aufgerissen, schrie der speichelfeuchte Mund unaufhörlich die entsetzlichen Worte heraus.
Jakoba hätte am liebsten die Hände über die Ohren gelegt, doch sie konnte sich vor Entsetzen nicht rühren.
»Sie sagen, dass der Schwarze Tod von den Soldaten aus Burgund kommt. Man rechnet mit dem Schlimmsten! Die Pest ist wieder in der Stadt!«
Die Magd kam ungeschickt auf die Füße, stolperte weiter, ihre Stimme überschlug sich, keine Worte, nur noch Kreischen.
Jakoba stand wie festgewachsen, ihr Atem ging schwer. Während der letzten Jahre war der Schwarze Tod ein häufiger Gast in München gewesen und die Menschen von außerhalb, die in die Stadt reisen mussten, wurden oftmals verspottet, sie hätten mit dieser Reise einen sich