: Gottfried August Bürger
: Jürgen Schulze
: Münchhausen Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande
: Null Papier Verlag
: 9783954189625
: 99 Welt-Klassiker
: 2
: CHF 0.90
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: Comic, Cartoon, Humor, Satire
: German
: 167
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Illustrierte Fassung Jeder kennt den Ritt auf der Kanonenkugel, das halbierte Pferd, das nicht mit dem Saufen aufhört, da es hinten ausläuft oder den Kraftakt, mit dem sich jemand am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. All diese Husarenstreiche werden dem Baron Münchhausen zugeschrieben. Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720-1791), der Namensgeber gleichnamiger Lügengeschichten, hat tatsächlich gelebt - womit der Fakten schon genüge getan ist. Von niederem Adel und schon früh Halbwaise, lebte er mit seiner Mutter und sechs Geschwistern auf einem eher bescheidenen Gut im Weserbergland, das auch heute noch zu besichtigen ist. Münchhausen liebte es, nach der Rückkehr aus dem Kriegsdienst seine Freunde und Jagdgäste mit erfundenen Geschichte von absurder Komik und Abenteuerlichkeit zu unterhalten. Schon zu seinen Lebzeiten, was ihm nicht immer zum Vorteil geriet, wurden seine Geschichten literarisch verarbeitet und so fand er sich nicht selten gleichgesetzt mit der Person in den Büchern, mit dem Lügenbaron. Gottfried August Bürger schrieb bereits 1786 auf Grundlage eines englischen Textes, das wiederum auf einem anonym verfassten deutschen Urtext fußte, die bis heute bekannteste Version. Lang ist die Liste von Verfilmungen (die bekannteste sicherlich mit Hans Albers aus dem Jahre 1943), Adaptionen, Variationen und Zitaten. Schließlich wird der Name sogar durch eine eigene psychische Erkrankung 'geadelt': Das Münchhausen-Syndrom wird geboren. Null Papier Verlag

Gottfried August Bürger (1747-1794) war ein deutscher Dichter in der Zeit der Aufklärung, der der Literaturströmung des Sturm und Drang (ca. 1765 bis 1785) zugerechnet wird. Bekannt geworden sind vor allem seine Balladen sowie seine Arbeiten über die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen. 1784 wurde er Privatdozent an der Göttinger Universität wo er in Ästhetik, Stilistik, deutsche Sprache und Philosophie unterrichtete.

Erstes Kapitel – Reise nach Rußland und St. Petersburg


Ich trat mei­ne Rei­se nach Ruß­land von Haus ab mit­ten im Win­ter an, weil ich ganz rich­tig schloß, daß Frost und Schnee die Wege durch die nörd­li­chen Ge­gen­den von Deutsch­land, Po­len, Kur- und Liv­land, wel­che nach der Be­schrei­bung al­ler Rei­sen­den fast noch elen­der sind als die Wege nach dem Tem­pel der Tu­gend, end­lich, ohne be­son­de­re Kos­ten hoch­preis­li­cher, wohl­für­sor­gen­der Lan­des­re­gie­run­gen, aus­bes­sern müß­te. Ich rei­se­te zu Pfer­de, wel­ches, wenn es sonst nur gut um Gaul und Rei­ter steht, die be­quems­te Art zu rei­sen ist. Denn man ris­kiert als­dann we­der mit ir­gend­ei­nem höf­li­chen deut­schen Post­meis­ter eine Af­faire d’hon­neur zu be­kom­men, noch von sei­nem durs­ti­gen Po­stil­li­on vor jede Schen­ke ge­schleppt zu wer­den. Ich war nur leicht be­klei­det, wel­ches ich ziem­lich übel emp­fand, je wei­ter ich ge­gen Nord­ost hin kam.

Nun kann man sich ein­bil­den, wie bei so stren­gem Wet­ter, un­ter dem rau­he­s­ten Him­melss­tri­che, ei­nem ar­men, al­ten Man­ne zu­mu­te sein muß­te, der in Po­len auf ei­nem öden An­ger, über den der Nord­ost hin­schnitt, hilf­los und schau­dernd dalag und kaum hat­te, wo­mit er sei­ne Scham­blö­ße be­de­cken konn­te.

Der arme Teu­fel dau­er­te mir von gan­zer See­le. Ob mir gleich selbst das Herz im Lei­be fror, so warf ich den­noch mei­nen Rei­se­man­tel über ihn her. Plötz­lich er­scholl eine Stim­me vom Him­mel, die die­ses Lie­bes­werk ganz aus­neh­mend her­aus­strich und mir zu­rief: »Hol’ mich der Teu­fel, mein Sohn, das soll dir nicht un­ver­gol­ten blei­ben!«

Ich ließ das gut sein und ritt wei­ter, bis Nacht und Dun­kel­heit mich über­fie­len. Nir­gends war ein Dorf zu hö­ren noch zu se­hen. Das gan­ze Land lag un­ter Schnee; und ich wuß­te we­der Weg noch Steg.

Des Rei­tens müde, stieg ich end­lich ab und band mein Pferd an eine Art von spit­zem Baum­sta­ken, der über dem Schnee her­vor­rag­te. Zur Si­cher­heit nahm ich mei­ne Pis­to­len un­ter den Arm, leg­te mich nicht weit da­von in den Schnee nie­der und tat ein so ge­sun­des Schläf­chen, daß mir die Au­gen nicht eher wie­der auf­gin­gen, als bis es hel­ler lich­ter Tag war. Wie groß war aber mein Er­stau­nen, als ich fand, daß ich mit­ten in ei­nem Dorf auf dem Kirch­ho­fe lag! Mein Pferd war an­fäng­lich nir­gends zu se­hen; doch hör­te ichs bald dar­auf ir­gend­wo über mir wie­hern. Als ich nun em­por­sah, so wur­de ich ge­wahr, daß es an den Wet­ter­hahn des Kirch­turms ge­bun­den war und von da her­un­ter­hing. Nun wuß­te ich so­gleich, wie ich dran war. Das Dorf war näm­lich die Nacht über ganz zu­ge­schnei­et ge­we­sen; das Wet­ter hat­te sich auf ein­mal um­ge­setzt, ich war im Schla­fe nach und nach, so wie der Schnee zu­sam­men­ge­schmol­zen war, ganz sanft her­ab­ge­sun­ken, und was ich in der Dun­kel­heit für den Stum­mel ei­nes Bäum­chens, der über dem Schnee her­vor­rag­te, ge­hal­ten und dar­an mein Pferd ge­bun­den hat­te, das war das Kreuz oder der Wet­ter­hahn des Kirch­tur­mes ge­we­sen.

Ohne mich nun lan­ge zu be­den­ken, nahm ich eine von mei­nen Pis­to­len, schoß nach dem Half­ter, kam glück­lich auf die Art wie­der an mein Pferd und ver­folg­te mei­ne Rei­se.


Das Pferd am Kirchturm

Hier­auf ging al­les gut, bis ich nach Ruß­land kam, wo es eben nicht Mode ist, des Win­ters zu Pfer­de zu rei­sen. Wie es nun im­mer mei­ne Ma­xi­me ist, mich nach dem Be­kann­ten »länd­lich sitt­lich« zu rich­ten, so nahm ich dort einen klei­nen Renn­schlit­ten auf ein ein­zel­nes Pferd und fuhr wohl­ge­mut auf St. Pe­ters­burg los. Nun weiß ich nicht mehr recht, ob es in Est­land oder in In­germ­an­land war, so viel aber be­sin­ne ich mich noch wohl, es war mit­ten in ei­nem fürch­ter­li­chen Wal­de, als ich einen ent­setz­li­chen Wolf mit al­ler Schnel­lig­keit des ge­frä­ßigs­ten Win­ter­hun­gers hin­ter mir an­set­zen sah. Er hol­te mich bald ein; und es war schlech­ter­dings un­mög­lich, ihm zu ent­kom­men. Mecha­nisch leg­te ich mich platt in den Schlit­ten nie­der und ließ mein Pferd zu un­serm bei­der­sei­ti­gen Bes­ten ganz al­lein agie­ren. Was ich zwar ver­mu­te­te, aber kaum zu hof­fen und zu er­war­ten wag­te, das ge­sch­ah gleich nach­her. Der Wolf be­küm­mer­te sich nicht im min­des­ten um mei­ne We­nig­keit, son­dern sprang über mich hin­weg, fiel wü­tend auf das Pferd, riß ab und ver­schlang auf ein­mal den gan­zen Hin­ter­teil des ar­men Tie­res, wel­ches vor Schre­cken und Schmerz nur de­sto schnel­ler lief. Wie ich nun auf die Art selbst so un­be­merkt und gut da­von­ge­kom­men war, so er­hob ich ganz ver­stoh­len mein Ge­sicht und nahm mit Ent­set­zen wahr, daß der Wolf sich bei­na­he über und über in das Pferd hin­ein­ge­fres­sen hat­te. Kaum aber hat­te er sich so hübsch hin­ein­ge­zwän­get, so nahm ich mein Tem­po wahr und fiel ihm tüch­tig mit mei­ner Peit­schen­schnur auf das Fell. Solch ein un­er­war­te­ter Über­fall in die­sem Fut­te­ral ver­ur­sach­te ihm kei­nen ge­rin­gen Schreck; er streb­te mit al­ler Macht vor­wärts, der Leich­nam des Pfer­des fiel zu Bo­den, und sie­he, an sei­ner Statt steck­te mein Wolf in dem Ge­schir­re. Ich mei­nes Orts hör­te nun noch we­ni­ger auf zu peit­schen, und wir lang­ten in vol­lem Ga­lopp ge­sund und wohl­be­hal­ten in St. Pe­ters­burg an, ganz ge­gen un­se­re bei­der­sei­ti­gen re­spek­ti­ven Er­war­tun­gen und zu nicht ge­rin­gem Er­stau­nen al­ler Zuschau­er.

Ich will Ih­nen, mei­ne Her­ren, mit Ge­schwätz von der Ver­fas­sung, den Küns­ten, Wis­sen­schaf­ten und an­dern Merk­wür­dig­kei­ten die­ser präch­ti­gen Haupt­stadt Ruß­lands kei­ne Lan­ge­wei­le ma­chen, viel we­ni­ger Sie mit al­len Int­ri­gen und lus­ti­gen Aben­teu­ern der Ge­sell­schaf­ten vom Bon­ton, wo die Frau vom Hau­se den Gast al­le­zeit mit ei­nem Schnaps und Schmatz emp­fängt, un­ter­hal­ten. Ich hal­te mich viel­mehr an grö­ße­re und ed­le­re Ge­gen­stän­de Ih­rer Auf­merk­sam­keit, näm­lich an Pfer­de und Hun­de, wo­von ich im­mer ein großer Freund ge­we­sen bin; fer­ner an Füch­se, Wöl­fe und Bä­ren, von wel­chen, so wie von an­derm Wild­bret, Ruß­land einen grö­ßern Über­fluß als ir­gend­ein Land auf Er­den hat; end­lich an sol­che Lust­par­ti­en, Rit­ter­übun­gen und preis­li­che Ta­ten, wel­che den Edel­mann bes­ser klei­den als ein biß­chen muf­fi­ges Grie­chisch und La­tein oder alle Riech­sä­chel­chen, Klun­kern und Ka­prio­len fran­zö­si­scher Schön­geis­ter und – Haar­kräu­se­ler.

Da es ei­ni­ge Zeit dau­er­te, ehe ich bei der Ar­mee an­ge­stellt wer­den konn­te, so hat­te ich ein paar Mo­na­te lang voll­kom­me­ne Muße und Frei­heit, mei­ne Zeit so­wohl als auch mein Geld auf die ade­ligs­te Art von der Welt zu ver­jun­ke­rie­ren. Man­che Nacht wur­de beim Spie­le zu­ge­bracht und vie­le bei dem Klan­ge vol­ler Glä­ser. Die Käl­te des Lan­des und die Sit­ten der Na­ti­on ha­ben der Bou­teil­le un­ter den ge­sell­schaft­li­chen Un­ter­hal­tun­gen in Ruß­land einen viel hö­hern Rang an­ge­wie­sen als in un­serm nüch­ter­nen Deutsch­lan­de; und ich habe da­her dort häu­fig Leu­te ge­fun­den, die in der ed­len Kunst zu trin­ken für wah­re Vir­tuo­sen gel­ten konn­ten. Alle wa­ren aber elen­de Stüm­per...