: Birgit Meitrodt, Menawar Youssef-Safar
: Das Licht scheint überall Menawar - Die Geschichte einer syrischen Christin
: Francke-Buch
: 9783868277401
: 1
: CHF 9.70
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 224
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Christin Menawar nimmt uns mit hinein in das faszinierende Syrien ihrer Kindheit. Wir tauchen ein in das idyllische Dorfleben im Nordosten des Landes, lernen uralte christliche Bräuche kennen und die Träume einer jungen Frau. Doch als die jungverheiratete Mutter mit ihrem Mann vor Repressalien nach Deutschland fliehen muss, scheinen diese zunächst zerstört. Die Familie tut sich schwer im Deutschland der 1980er-Jahre. Kommunikationsprobleme und Missverständnisse behindern das Einleben. Doch als Menawar und ihre Familie eine christliche Gemeinde kennenlernen, die sie mit offenen Armen aufnimmt, wendet sich das Blatt. Menawars Glaube und die neuen Freunde helfen ihr, sich zu integrieren. Und sie wird selbst zur »Integrationshelferin« für Menschen, die aus Syrien flüchten müssen - bis in die jüngste Zeit.

Birgit Meitrodt lebt mit ihrem Mann und den zwei Söhnen in der Nähe von Braunschweig. Sie hat Diplom Geographie studiert und arbeitet zurzeit in der Flüchtlingshilfe als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. Außerdem leitet sie eine Schulranzen-Sammelstelle für das christliche Hilfswerk GAiN. Auf die Idee, dieses Buch zu schreiben, wurde sie von ihrer Freundin Menawar gebracht.

Kapitel 2: Puppen, Perlen und Geschichten

„Mama, ich möchte auch eine eigene Puppe haben.“ Ich war inzwischen vier Jahre alt und kam mit der Puppe meiner größeren Schwester ins Elternschlafzimmer gelaufen. Meine Mutter saß auf einer Bank und nähte. Sie fertigte einen Großteil unserer Kleidung selbst an, flickte sie oder änderte sie ab, sodass alle Kinder genug Kleidung hatten. Zu besonderen Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten gab es auch mal neue Kleidung, die meine Mutter von einer Schneiderin anfertigen ließ. An jenem Tag war meine Mutter gerade dabei, die Hemden und Hosen meiner Brüder zu flicken. Da sie auf meine Bitte noch nicht reagiert hatte, stupste ich sie an: „Mama, ich möchte auch eine Puppe. Bitte, bitte – nähst du mir auch eine Puppe?“ Jetzt sah meine Mutter endlich von ihrer Arbeit auf. Sie schaute mir ins Gesicht und dann auf die Puppe, die ich in der Hand hielt. Dann sagte sie in ihrer liebevollen Art: „Ja, du sollst auch eine Puppe bekommen. Ich muss mal nachsehen, ob ich noch etwas von dem weißen Stoff habe. Bunten Stoff für ein Puppenkleid habe ich bestimmt auch noch.“ „Nein, Mama. Ich will nicht so eine Puppe mit weißer Haut haben. Meine Puppe soll etwas Besonderes sein. Ich will lieber eine mit brauner Haut. Hast du dafür auch noch Stoff?“ „Mitbrauner Haut?“, fragte meine Mutter erstaunt. „Das könnte sein. Dafür könnte ich vielleicht ein altes Hemd oder eine Hose von Papa nehmen.“ Sie durchsuchte ihre Stoffreste und fand tatsächlich einen passenden Stoff, aus dem sie für mich eine wunderschöne Puppe mit keksbrauner Haut und einem rosafarbenen Kleid nähte. Ich jubelte, als sie mir die Puppe mit einem Lächeln in den Arm legte. Ich drückte meine Puppe ganz fest an mich, die von da an zu meiner treuen Begleiterin wurde.

So ein Geschenk außer der Reihe war wirklich etwas Besonderes, denn es gab nicht viele Spielsachen. Wir Mädchen bekamen eine Puppe, die Jungen ein Auto. Na ja, ein richtiges Auto war es eigentlich nicht. Es bestand nur aus einem Draht, dessen Enden zu zwei Rädern gebogen waren. In der Mitte des Drahtes war noch ein weiterer Draht befestigt, der als Lenkstange diente. In der besseren Ausführung wurde für das Fahrzeug eine kleine Kiste verwendet, an der unten vier Räder und in der Mitte eine Lenkstange angebracht waren. Das sah zwar nicht so echt aus wie ein gekauftes Spielzeugauto, doch man konnte auch damit prima spielen und die Jungen hatten viel Spaß dabei. Wenn sie nicht mit ihren Autos spielten, gingen sie gerne zum Angeln an den Fluss. Auch die Angeln waren selbst gebaut. Sie bestanden aus einem Stock, an den ein Nylonfaden gebunden war. Als Haken diente eine umgebogene Nähnadel. Sie angelten nur so zum Spaß, aber nicht selten brachten sie auch einen Fisch mit nach Hause, den wir dann gegessen haben.

Am Nachmittag verabredete ich mich meist mit meinen Freundinnen, um mit Perlen zu spielen. Wir verwendeten dazu alte Perlenketten unserer Mütter. Ich erinnere mich, wie ich eines Tages ins Schlafzimmer meiner Eltern ging und mir, ohne um Erlaubnis zu fragen, einfach eine Perlenkette nahm. Meine Mutter war gerade in der Küche und sah mich nach draußen verschwinden. Sie rief mir nach: „Menawar, wo gehst du hin?“ Ertappt hielt ich an und sagte: „Wir treffen uns bei dem großen Baum. Dort wollen wir mit Perlen spielen. Mama, ich darf doch die rote Perlenkette mitnehmen?“ Meine Mutter hatte zum Glück einen guten Tag und wurde nicht ärgerlich darüber, dass ich, ohne zu fragen, ihre Kette genommen hatte. Sie ermahnte mich nur kurz und