Es ist schwer, des Abends durch die dunkelnden engen Straßen dieser träumerischen Stadt zu gehen, ohne sich in leise Melancholie zu verlieren, in jene süße Wehmut der letzten herbstlichen Tage, die nicht mehr die lauten Feste der Früchte haben, sondern nur das stille Schauspiel willigen Hinsterbens und verlöschender Kraft. Getragen von der steten Welle frommer Abendglockenspiele flutet man mählich hinein in dieses uferlose Meer rätselhafter Erinnerungen, die hier an jeder Türe und jedem verwitterten Walle aufrauschen. Lässig pilgert man so, bis man sinnend plötzlich die ganze Größe des Schauspiels fühlt, darin der eigene sorgsam gedämpfte Schritt das Wirkende und Lebendige scheint, während die großen Gewalten stumm als finstere Kulissen stehen. Und keine Stadt gibt es wohl, die die Tragik des Todes und des noch mehr Furchtbaren, des Sterbens, mit so zwingender Kraft in ein Symbol gepreßt hat, wie Brügge. Dies fühlt man so ganz in den Halbklöstern, den Beguinagen, dahin viele alte Leute sterben gehen, denn was einen die herben Konturen der Straßen am Abend nur ahnen lassen, das zeichnet sich hier in müden, stumpfen, vom Widerglanz des Lebens nur matt erhellten Blicken: daß es ein Leben ohne Hoffnung und Sicht in die Ferne gibt, ganz versunken in gleichgültiges Zurückstarren zur Vergangenheit. Und unvergeßlich ist die Art dieser Menschen, die das matte Blühen der kleinen Klostergärtchen unbewegt überschauen, ohne sich fragend einem Fremden zuzuwenden. Und gleich wunderbar ist das Dämmerbild der untätigen uralten Straßen.
Was aber seltsam ist: diese Stille ist hier nicht nur dem Abend gegeben, der sie mit seinen vielen Träumen und sehnsüchtigen Erinnerungen durchflicht, sondern unablässig scheint ein grauer Schleier über diese alten Giebeldächer gebreitet zu sein, darin sich alles Laute und Derbe verfängt, eine Sordine, die Lärm zu Raunen, Jubel zu Lächeln und den Schrei zum Seufzer dämpft. Wohl ist das Leben nicht ganz erloschen in der Mittagshelle der Straßen: Karren und Wagen stolpern über das Pflaster, Menschen mühen sich um das tägliche Brot, Cafés, Restaurants und Estaminets erweisen sogar sehr zahlreich das Bemühen nach irdischem Wohlergehen, aber dennoch liegt kein Lächeln über Stadt und Menschen. Nirgends diese dörflerische Fröhlichkeit der flandrischen Städte, der klappernde Holzschuhtanz singender Kinderscharen hinter dem aufspielenden Leierkasten, nirgends das bunte Flackern prahlerischer Gewandung. Und immer diese Dämpfung der Laute. Ist man das kühle und dunkle Treppengewinde des Beffrois, der breitschultrig und nackensteif wie Roland der Riese am Hallenplatze steht, hinaufgestiegen, leise beklommen durch das dumpfe Dunkel, und sieht man dann in freudigem Erschrecken das in leuchtenden Farben ergossene Licht, so fehlt doch in dem hellen Umkreis des tiefruhenden Treibens die Stimme. Von der weitgebreiteten Stadt und ihrer holden Umkränzung weht nur ein summendes Brausen empor, undeutlich und zauberisch wie die Vinetaglocken über dem sonntäglichen Meere. Und so scheint dieses bunte Gewimmel ziegelroter Dächer, zackiger Giebel und weißglitzernder Fensterborde nichts als ein Spielzeug, von lässiger Hand ins grüne Gelände geschüttet. Lieblich und leblos mutet dieses Schachtelwerk getürmter Häuser und runder Klöster an, geschickt untermischt mit kleinen Bezirken grünüppiger Gärten und breiter Alleen, die allmählich hineinführen ins blühende flandrische Land, darin schon die großen Mühlen – der holländischen Landschaft unentbehrliches Requisit – mit wirbelnden Flügeln stehen. Aber auch von dieser Höhe, die das Spielerische und Zi