: Stefan Zweig
: Drei Meister Balzac. Dickens. Dostojewski
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104001883
: Gesammelte Werke in Einzelbänden
: 1
: CHF 3.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 217
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit den Autorenporträts aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Romanschriftsteller sind nach Stefan Zweigs Auffassung »enzyklopädische Genies«, die mit ihren Figurenuniversen eine »neue Form der Welt« schaffen. In seinen drei Essays zu Balzac, Dickens und Dostojewski versucht er einen Typus des Romanciers herauszuarbeiten, wobei die Unterschiede der Autoren im Vergleich ebenso deutlich hervortreten. Dies ist der erste der drei vollendeten Teile des Zyklus ?Die Baumeister der Welt. Versuch einer Typologie des Geistes?. Die beiden anderen Teile sind ?Der Kampf mit dem Dämon. Hölderlin, Kleist, Nietzsche? und ?Drei Dichter ihres Lebens. Casanova, Stendhal, Tolstoi?.

Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und lebte ab 1919 in Salzburg, bevor er 1938 nach England, später in die USA und schließlich 1941 nach Brasilien emigrierte. Mit seinen Erzählungen und historischen Darstellungen erreichte er weltweit in Millionenpublikum. Zuletzt vollendete er seine Autobiographie ?Die Welt von Gestern? und die ?Schachnovelle?. Am 23. Februar 1942 schied er zusammen mit seiner Frau »aus freiem Willen und mit klaren Sinnen« aus dem Leben.

Balzac


Balzac ist1799 geboren, in der Touraine, der Provinz des Überflusses, in Rabelais’ heiterer Heimat. Im Juni1799, das Datum ist wert, wiederholt zu werden. Napoleon – die von seinen Taten schon beunruhigte Welt nannte ihn noch Bonaparte – kam in diesem Jahre aus Ägypten heim, halb Sieger und halb Flüchtling. Unter fremden Sternbildern, vor den steinernen Zeugen der Pyramiden hatte er gefochten, war dann, müd, ein grandios begonnenes Werk zäh zu vollenden, auf winzigem Schiffe durchgeschlüpft zwischen den lauernden Korvetten Nelsons, faßte ein paar Tage nach seiner Ankunft eine Handvoll Getreuer zusammen, fegte den widerstrebenden Konvent rein und riß mit einem Griff die Herrschaft Frankreichs an sich.1799, das Geburtsjahr Balzacs, ist der Beginn des Empire. Das neue Jahrhundert kennt nicht mehr le petit général, nicht mehr den korsischen Abenteurer, sondern nur mehr Napoleon, den Kaiser Frankreichs. Zehn, fünfzehn Jahre noch – die Knabenjahre Balzacs – und die machtgierigen Hände umspannen halb Europa, während seine ehrgeizigen Träume mit Adlersflügeln schon ausgreifen über die ganze Welt von Orient zu Okzident. Es kann für einen alles so intensiv Miterlebenden, für einen Balzac nicht gleichgültig sein, wenn sechzehn Jahre ersten Umblicks mit den sechzehn Jahren des Kaiserreichs, der vielleicht phantastischesten Epoche der Weltgeschichte, glatt zusammenfallen. Denn frühes Erlebnis und Bestimmung, sind sie nicht eigentlich nur Innen- und Außenfläche eines Gleichen? Daß einer, irgendeiner kam, von irgendeiner Insel im blauen Mittelmeer, nach Paris kam, ohne Freund und Geschäft, ohne Ruf und Würde, schroff die eben zügellose Gewalt dort packte, sie herumriß und in den Zaum zwang, daß irgendeiner, ein einzelner, ein Fremder, mit einem Paar nackter Hände Paris gewann und dann Frankreich und dann die ganze Welt – diese Abenteurerlaune der Weltgeschichte wird nicht aus schwarzen Lettern unglaubhaft zwischen Legenden oder Historien ihm vermittelt, sondern farbig, durch all seine durstig aufgetanen Sinne dringt sie ein in sein persönliches Leben, mit tausend bunten Erinnerungswirklichkeiten die noch unbeschrittene Welt seines Innern bevölkernd. Solches Erlebnis muß notwendigerweise zum Beispiel werden. Balzac, der Knabe, hat das Lesen vielleicht gelernt an den Proklamationen, die stolz, schroff, mit fast römischem Pathos die fernen Siege erzählten, der Kinderfinger zog wohl ungelenk auf der Landkarte, von der Frankreich wie ein überströmender Fluß allmählich über Europa schwoll, den Märschen der napoleonischen Soldaten nach, heute über den Mont Cenis, morgen quer durch die Sierra Nevada, über die Flüsse hin nach Deutschland, über den Schnee nach Rußland, über das Meer vor Gibraltar hin, wo die Engländer mit glühenden Kanonenkugeln die Flottille in Brand schossen. Tags haben vielleicht die Soldaten auf der Straße mit ihm gespielt, Soldaten, denen Kosaken ihre Säbelhiebe ins Gesicht geschrieben hatten, nachts mag er oft aufgewacht sein vom Rollen der Kanonen, die hinzogen nach Österreich, um die Eisdecke unter der russischen Reiterei bei Austerlitz zu zerschmettern. Alles Begehren seiner Jugend mußte aufgelöst sein in den aneifernden Namen, in den Gedanken, in die Vorstellung: Napoleon. Vor dem großen Garten, der aus Paris hinausführt in die Welt, wuchs ein Triumphbogen auf, dem die besiegten Städtenamen der halben Welt eingemeißelt waren, und dieses Gefühl der Herrschaft, wie mußte es umschlagen in eine ungeheure Enttäuschung, als dann fremde Truppen einzogen durch diese stolze Wölbung! Was außen, in der durchstürmten Welt geschah, wuc