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Sie kamen über Nacht. Wir schliefen tief. Eng umschlungen. Der Hund des Nachbarn schlug nicht an. Der Säugling aus dem ersten Stock, der uns so oft schon aufgeschreckt hatte, blieb ruhig. Nichts war zu hören; kein Lärm, keine Schreie, keine Schüsse. Nicht das Brummen von Maschinen. Im Rückblick war das einzig Ungewöhnliche die Stille, die über uns lag. Beklemmend bis heute, heimgesucht worden zu sein, ohne irgendetwas bemerkt zu haben. Als wir aufwachten, war über uns entschieden.
Um Viertel vor sieben läutete der Wecker. Zur gewohnten Zeit, als wäre nichts geschehen, und wie an jedem Morgen war es Astrid, die als Erste munter wurde, den Alarm abstellte, aufstand, in die Küche ging, das Radio einschaltete, das Wasser laufen ließ. Das Fauchen der Espressomaschine war zu hören, während ich langsam aus dem Bett stieg. Ich ging ans Fenster und zog an der Perlenschnur, um die Lamellen der Jalousie zu wenden und das erste Tageslicht einzulassen.
Im Hintergrund die Erkennungsmelodie des Morgenjournals und dann der Sprecher, der zuerst verkündete, wie spät es war, darauf die Sendung ansagte und die Hörer begrüßte. Danach kam bereits die Meldung, die der Moderator mit fester Stimme vorbrachte, als redete er von einer Gesetzesvorlage, von einer Steuerreform oder von Unruhen in einem fernen Land, und kaum war die Neuigkeit offenbart, ging er bruchlos zu anderen Ereignissen über, aber da hatte ich bereits kurz innegehalten — ein Stutzen —, dann jedoch angenommen, wohl etwas falsch verstanden zu haben. Doch nach dem Verlesen des Nachrichtenblocks folgten die Berichte im Einzelnen, und nun war jeder Irrtum ausgeschlossen. Eine aufgekratzte Stimme voll Euphorie und Begeisterung. Was mitgeteilt wurde, war eine Sensation. Ein Augenblick von historischem Rang. Alles klang unwirklich und erinnerte fast an einen Witz. Während ich den Tisch deckte, langsamer als sonst, und zuhörte, schnitt Astrid das Brot auf, nahm die Butter und meine selbstgekochte Erdbeermarmelade aus dem Kühlschrank, aber mittendrin schüttelte sie den Kopf und lachte. Das könne nicht wahr sein, meinte sie, das müsse einer jener Streiche sein, die Journalisten ihrem Publikum zuweilen spielten. Ein Scherz. Ich legte den Zeigefinger an den Mund und bat sie, still zu sein.
Zu Panik bestehe kein Anlass, wurde im Rundfunk erklärt, niemand sei verletzt, geschweige denn getötet worden. Danach der Einstieg in eine Sondersendung. Die dramatische Streichersequenz im Stakkato. Das Motiv sollte die Ouvertüre für jede Nachricht über die Außerirdischen werden. Jene paar Takte aus dem Werk von Tschuljapjew würden uns während der nächsten Zeit begleiten.
Ich kann diese Geigenklänge seither nicht mehr hören. Das Konzert war früher eines meiner Lieblingsstücke. Jetzt schrecke ich hoch, wenn es mich irgendwo einholt. Vor der Invasion war das Opus ein Geheimtipp unter Musikbegeisterten. Jetzt will es kaum noch jemand hören. In jenen Tagen horchten jedoch alle auf, wenn es angestimmt wurde. In den Geschäften, auf Ämtern, in den Büros blieben Fernseher oder Radios eingeschaltet. Überall verstummten die Gespräche, wenn die Melodie erklang und neue Meldungen verlesen wurden.
Vom Platz vor dem Kanzleramt meldete sich ein Reporter. Die Regierung, so sagte er, werde in Kürze eine Pressekonferenz abhalten. Es gelte, Vernunft zu bewahren und von jeder Gewalt abzusehen. Das alles sei ein Scherz, erklärte Astrid. Eine Neuauflage jenes Hörspiels, mit dem einst Orson Welles sein Publikum in Panik versetzt hatte. Wer glaube noch an eine Invasion aus dem All? Damals war von Gräueln die Rede gewesen. Sie erinnere sich, so Astrid, als Jugendliche die historische Aufnahme der Sendung gehört zu haben. Das Schreien und Stöhnen der Schauspieler, das Keuchen der an Giftgas Erstickenden. Die Marsianer, habe es damals geheißen, würden alle Menschen niedermachen. Am Ende sei verkündet worden, es habe sich bloß um eine Schauergeschichte zu Halloween gehandelt, doch trotz der Durchsage hätten sich viele damals, in den Dreißigern des zwanzigsten Jahrhunderts, nicht beruhigen können. Ihr hingegen sei das Hörspiel so antiquiert vorgekommen, als gehe es darin um eine irdische Zivilisation, die inzwischen längst schon ausgestorben sei.
Ich fragte Astrid, ob sie nicht kurz ruhig sein könne, denn ich wolle wissen, was nun geschehe. Sie schüttelte den Kopf. Ob ich wirklich so naiv sei.
»Sei doch bitte still. Mir zuliebe.«
Korrespondenten aus verschiedenen Ländern wurden zugeschaltet. Andernorts hatten Politiker bereits Erklärungen abgegeben. »Wir können melden: Ein Kontakt mit Außerirdischen hat stattgefunden.« — »Noch müssen Informationen eingeholt werden.« — »Bisher ist niemand zu Schaden gekommen.« — »Allem Anschein nach besteht keine Gefahr.« Es waren teils feierliche Ansprachen, Willkommensadressen. »Bleiben Sie bitte an den Geräten. Weitere Nachrichten folgen.«
Überall fielen dieselben Wörter. Die Journalisten sprachen von menschlich anmutenden Wesen, von Humanoiden oder von Anthropomorphen. Von einer hochzivilisierten Gattung. Von extraterrestrischem Leben. Von außerirdischer Intelligenz.
Der Griff nach der Fernbedienung. Im Fernsehen die neuesten Nachrichten, doch nirgends ein Foto von jenen Besuchern aus dem All. Kein Kameraschwenk auf ihre Raumschiffe. Nichts. Ein Sender zeigte Schemen aus alten Filmen, Zukunftsvisionen der Vergangenheit, fremde Fratzen mit Insektenaugen, Kopffüßler mit Spinnenfingern, Langschädel mit Spitzohren, greisenhafte Zwerggestalten, die ganze imaginäre Rassenkunde eines fiktiven Kosmos.
Allein daran, meinte Astrid, sei doch zu erkennen, was von der ganzen Geschichte zu halten sei. Nämlich nichts! Wieso es denn kein Bild von diesen fremden Wesen gebe? Sie würden doch zweifellos, sobald sie angekommen seien, Spuren hinterlassen.
»Bitte! Ich will zuhören!« Zu einer anderen Tageszeit hätte ich Bekannte angerufen, um die Situation zu besprechen. Das Telefon als Weltvergewisserung. Der Blick auf die Botschaften der anderen. Die Kurzmitteilungen. Das Durchstreifen der sozialen Netzwerke. Aber das Handy lag noch im Schlafzimmer und war lautlos gestellt.
Ich solle abschalten, bat Astrid. Mir müsse es doch auffallen: Diese Nachrichten konnten nicht wahr sein. »Du arbeitest immerhin selbst für ein Magazin«, sagte sie. »Wieso glaubst du so einen Quatsch?« Sie rückte ihren Stuhl an den Tisch. »Ich will frühstücken. Setz dich endlich. Der einzige Außerirdische, dem ich heute begegnet bin, bist du. Lichtjahre von mir entfernt.« Ich stellte das Fernsehgerät stumm, so dass nur noch das Radio zu hören war, holte die Milch aus dem Kühlschrank, schnitt eine Banane und einen Apfel in kleine Stücke. Darüber streute ich Sonnenblumenkerne.
Sie sah mich an. »Ich hätte gern Ruhe. Mach aus.«
»Wenn du glaubst, dass es sowieso nicht wahr ist, muss es dich ja nicht kümmern.«
»Ich möchte einfach die paar Minuten, die wir beisammensitzen, mit dir verbringen.«
»Wir lassen auch an anderen Tagen das Radio laufen.«
Aber da, so Astrid, bleibe es im Hintergrund. Heute dränge es sich zwischen uns. Und überhaupt, die Sendung sei obszön. Billige Sensationsmache.
Ich nickte leicht und suchte nach einem anderen Sender, doch überall waren dieselben Nachrichten zu hören. Die Berichte waren mittlerweile ein einziger Jubel. Alle taten so, als hätte die Menschheit von Beginn an auf die Ankunft Außerirdischer gewartet. Die bloße Sensation stürzte Reporter, Experten und politische Vertreter in ein Glück, das ihre Stimmen zittern machte. Jeder Satz ein Ausruf. Sie sagten: »Es ist unglaublich!« Sie sagten: »Das ist ein historischer Moment.« Seit Beginn der Zeiten träume die Menschheit von dieser himmlischen Begegnung. Wir seien die erste Generation, die über die Erde hinauswachse.
Mögliche Gefahren aus dem All wurden kaum angesprochen. »Die Gäste scheinen uns freundlich gesinnt zu sein!« — »Wären sie feindselig, hätten sie uns wohl bereits attackiert und ausgelöscht.« — »Keinesfalls wollen wir sie auf falsche Gedanken bringen. Sie dürfen sich nicht angegriffen fühlen. Bisher gab es keine feindlichen Akte.« — »Das eigentliche Ereignis des heutigen Tages: Der Krieg der Sterne findet nicht statt!«, verkündete eine Moderatorin. Ich fragte mich, von welchem Planeten sie stammte.
Ein...