: Mary Elizabeth Braddon
: Charlottes Erbschaft
: Red Ediciones
: 9783957182036
: 1
: CHF 1.80
:
: Historische Kriminalromane
: German
: 393
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mary Elizabeth Braddon führt in 'Charlottes Erbschaft' die in 'Raubvögel' begonnene Geschichte fort, in deren Verlauf vier Menschen, die mittels Betrug und Schwindeleien zu Reichtum zu gelangen versuchen, teils miteinander, aus Habgier und Selbstsucht jedoch meist gegeneinander arbeiten. Zwar ist es dem Zahnarzt Philip Sheldon gelungen, sich einigermaßen aus seiner dringendsten Geldverlegenheit zu befreien, wobei er, wie der Leser aus dem Vorgängerroman 'Raubvögel' weiß, mehrfach bewiesen hat, dass er keinerlei Skrupel kennt, wenn es gilt, seine Ziele zu erreichen, doch die Tatsache, dass seine Stieftochter Charlotte Halliday möglicherweise Anwärterin auf eine beachtliche Erbschaft ist, lässt Sheldon keine Ruhe, ist er doch gewohnt, auf großem Fuß zu leben. Während noch ermittelt wird, ob es nicht doch noch weitere mögliche Erben gibt, zu denen eine Spur zum französischen Zweig von Charlottes Familie führt, überredet Sheldon die junge Frau, ihr Leben zu versichern und ihn als Begünstigten einzusetzen. Als Charlotte an einem mysteriösen Leiden erkrankt, vermag er sicherzustellen, dass außer ihm selbst kein anderer Mediziner in Charlottes Nähe kommt. Doch die Arznei, die er der Kranken verabreicht, scheint nicht nur nicht anzuschlagen, nein, es geht Charlotte immer schlechter ... Beide Teile sind auch in einem Sammelband erhältlich. Mary Elizabeth Braddon, die im viktorianischen England als eine der populärsten Autorinnen galt, verfasste über achtzig Romane, von denen sich viele zu langjährigen Bestsellern entwickelten. Ihr größter Erfolg, 'Lady Audleys Geheimnis', blieb seit seinem Erscheinen 1862 fortwährend im Druck und wurde mehrfach verfilmt und dramatisiert.

1. Kapitel.
Lenoble von Beaubocage.


In den Tagen, wo der Bourbon über Gallien herrschte, ehe die sinnlichen, leidenschaftlichen Verse Alfred de Mussets auf die gutmütige Muse Berangers folgten und sich die Gunst des jungen Frankreich erwarben – in den Tagen, wo das Wort »Exposition« in dem Wörterbuch der Akademie noch unbekannt und der gallische Augustus, der die Stadt neu aufbauen sollte, noch ein Verbannter war, wohnte ein junger Student der Jurisprudenz gemeinschaftlich mit anderen Studenten in einem großen, finster aussehenden Haus an der Ecke der Rue Grande-Mademoiselle und Place Lauzun, etwa zehn Minuten Weges vom Palais du Luxembourg entfernt.

Es war ein sehr unfreundlicher Stadtteil, obschon früher vornehme Herren und reizende Frauen die großen, unheimlichen Häuser bewohnt und sich in den dürftigen Gärten amüsiert hatten. Die jungen Studenten ließen sich jedoch durch die Düsterheit ihrer Wohnung keineswegs die Laune verderben. Sie sangen ihren Béranger, tranken wohlfeilen Bordeaux, stießen lustig mit den Gläsern an und aßen die Gerichte, die für sie in einer dunklen Höhle, die man die Küche nannte, von der alten Nanon, der halb blinden, völlig tauben und fast stumpfsinnigen Köchin zubereitet wurden, die allgemein als die ehrwürdige Mutter der Madame Magnotte angesehen wurde.

Die jungen Leute sprachen sich mißbilligend über die Gerichte aus, wenn diese ungewöhnlich rätselhaft waren, und es läßt sich nicht leugnen, daß in diesem Haus Windbeutel und Fricandeaux1 verzehrt wurden, die furchterregend und wunderbar waren. Man wagte jedoch nicht, eine Klage über die Herrin des Hauses laut werden zu lassen, denn diese war eine grimmige und furchtbare Persönlichkeit. Ihre Forderung für Kost und Logis war mäßig und sie behandelte ihre Kostgängerde haut en bas2. Wenn dieselben mit dem, was sie ihnen zu essen gab, nicht zufrieden waren, konnten sie gehen und sehen, wo sie etwas Besseres bekamen.

Madame Magnotte war in ihrem ganzen Wesen geheimnisvoll und unergründlich. Manche Leute sagten, sie sei eine geborene Gräfin, und der Reichtum und Grundbesitz ihrer Familie sei durch den Wohlfahrtsausschuß von ’93 konfisziert worden. Andere behaupteten, sie sei zur Zeit Napoleons eine beliebte Schauspielerin an einem kleinen Theater gewesen. Sie war groß und hager, letzteres sogar in außerordentlichem Grade, und ihre Hautfarbe von angenehmerem Gelb als die Butter, die auf ihrem gastfreien Tisch zum Vorschein kam; dabei hatte sie aber funkelnde schwarze Augen und in Gang und Benehmen etwas Stattliches und Majestätisches, das den jungen Studenten, ihren Kostgängern, einen förmlichen Grad von Scheu einflößte. Man nannte sie auch wirklich »die Gräfin«, und sie war unter diesem Namen sämtlichen Bewohnern des Hauses bekannt, die ihr auch stets mit unverbrüchlichem Respekt begegneten.

Einer der ruhigsten unter den jungen Männern, die bei Madame Magnotte logierten, war ein gewisser Gustave Lenoble, ein Student der Rechte, der einzige Sohn eines vortrefflichen Ehepaares, das auf seinem Landsitz in der Nähe eines obskuren Dorfes der Normandie wohnte. Dieses Landgut war eins der kleinsten, denn es bestand aus einem verfallenen alten Haus, das in der unmittelbaren Nachbarschaft unter dem Namen des »Châteaus« bekannt und denen, die darin wohnten, lieb und teuer war, sowie aus einem Garten, in dem alles von Unkraut überwuchert zu sein schien, und ungefähr vierzig Morgen des unergiebigsten Bodens, den die Normandie aufzuweisen hat. Diese Besitztümer bildeten das Erbgut des wackeren François Lenoble von Beaubocage bei Vevinord in dem Departement de l’Euve.

Die Leute, unter denen der gute Mann sein schlichtes Dasein verbrachte, nannten ihn Monsieur Lenoble de Beaubocage, doch machte er auf diese vornehme Bezeichnung keinen Anspruch, und als er seinen einzigen Sohn in die große Welt von Paris schickte, um ihn hier den Kampf des Lebens beginnen zu lassen, empfahl er ihm, sich nur kurzweg