KAPITEL 1
DER TRAUER INS AUGE SEHEN
Liebe Freunde, heute Morgen haben wir drei und Tante Maren von unserer kleinen Sara Abschied genommen. Ganz sanft hat ihr Herz aufgehört zu schlagen. Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus (Phil. 4,7). Bitte hört nicht auf, für uns zu beten.
Arne, Anja& Tim – am 13.9.14
Noch immer schießen mir die Tränen in die Augen, wenn ich in meinen E-Mails stöbere und wie zufällig wieder auf den Tag stoße, der das Leben meiner Familie für immer verändert hat. Der Tag, an dem wir unser Mädchen in Gottes Hände legen mussten. Hunderte von Menschen haben uns geschrieben und noch eine Vielzahl mehr buchstäblich auf allen Kontinenten dieser Erde mit uns und für uns um ein Wunder gebetet. Das Wunder ist ausgeblieben. Tim hat seine Schwester verloren. Und Anja und ich sind seit jenem Samstag im September 2014 gezwungen, den schwersten Weg zu gehen, den sich Eltern vorstellen können: das eigene Kind vollständig loszulassen.
Wenn man seine Eltern verliert, macht einen Menschen das in der deutschen Sprache zur Waise. Seinen Ehepartner zu verlieren, zum Witwer oder zur Witwe. Für den Verlust des eigenen Kindes gibt es im Deutschen jedoch kein Wort. Auch nicht für den eines Geschwisterteils. Denn die Vorstellung, dass das eigene Kind vor einem selbst stirbt, ist zu schrecklich und die Reihenfolge zu unnatürlich.
Man behilft sich mit Begriffen wie „Verwaiste Eltern“ oder „Trauernde Eltern“, aber die Ohnmacht, diesen Verlust in Worte zu fassen, kommt nicht von ungefähr.
Ein Kind ist uns Eltern zum Schutz anbefohlen. Nicht nur in den Babyjahren, wenn es ganz und gar auf die körperliche und seelische Versorgung durch die Eltern angewiesen ist. Sondern auch später, in den Jahren des Heranwachsens auf dem Weg zum eigenständigen Leben. Und selbst dann hört bei uns das Empfinden nie auf, dafür verantwortlich zu sein, dass es unserem Kind gut geht. Wenn dieser Schutz aber von einem Moment zum nächsten nicht mehr greift, obwohl es doch in meiner Hand gelegen hätte – dann fehlt dafür jedes Wort …
Im Vorwort des Buches „Meine Gedanken sind bei Dir“ der McDonald’s Kinderhilfe Stiftung heißt es:„Sie haben eine der schmerzlichsten Erfahrungen gemacht, die es für Menschen auf dieser Welt geben kann – Ihr Kind ist gestorben. Dieser Tod ist so unfassbar, denn wir gehen davon aus, dass Kinder ihre Eltern überleben. Wir gehen davon aus, dass Eltern die Aufgabe und die nötige Zeit haben, ihre Kinder auf ihrem Weg in und später durch das Leben zu begleiten. Wenn dieser gemeinsame Weg nicht mehr möglich ist, sterben unsere Träume und Hoffnungen für unser weiteres Leben. Oft können wir uns nicht vorstellen, dass unser Leben jemals wieder einen Sinn bekommen wird.
Und doch, auch wenn wir nicht wissen, wie, müssen wir diesen Weg unseres Lebens weitergehen. Schritt für Schritt, so schwer es auch sein mag. Diesen Weg, der zunächst ausschließlich und später immer wieder von der Trauer um unser Kind geprägt sein wird, muss jeder für sich finden. Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg im Umgang mit unserer Trauer. Hilfreich kann nur sein, einen eigenen individuellen Weg so anzunehmen, wie er ist. Ja zu sagen zu sich und allen Gefühlen. Zu den Tränen und der Verzweiflung. Der Wut und den möglichen Schuldgefühlen. Zu dem Neid und dem Gefühl der Ungerechtigkeit. Aber versuchen Sie, in Ihrem Schmerz auch anderen Familienmitgliedern ihren Weg der Trauer zu lassen, selbst wenn er so ganz anders als Ihr eigener zu sein scheint.“1
In Deutschland sterben jährlich rund 25 000 Kinder und junge Erwachsene. Das Gros betrifft potenzielle Führerscheininhaber. Vom Babyalter bis 15 Jahren sterben jährlich 5500 Menschen. Dazu kommen F