: Helmut Lauschke
: Dr. Ferdinand Chirurg vor der namibisch-angolanischen Grenze
: neobooks Self-Publishing
: 9783742782588
: 1
: CHF 8.90
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: Erzählende Literatur
: German
: 104
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
De seelische 'Kwashiorkor' war ein Erwachsenensyndrom mit dem Mangel an Bildung und vielleicht auch dem Mangel an Ethik. Dagegen war der körperliche Kwashiorkor das Syndrom der malignen Unterernährung bei Kindern durch den chronischen Eiweißmangel. Diese Kinder hielten es mit dem Leben nicht lange durch. Sie fielen um und starrten aus großen Augen in den Himmel, wenn der letzte Atemzug sie verwehte. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, lag auf dem Operationstisch. Ihr 'Freund' hatte ihr in den Bauch geschossen, weil sie ihn nicht mehr liebte und nicht mehr mit ihm schlafen wollte. Der junge Mann hatte sich anschließend selbst das Leben genommen. Es war eine mehrstündige Operation, bei der die Patientin viel Blut verloren hatte. Der Ausgang der Notoperation zur Rettung des jungen Lebens stand zwischen Hoffnung und Zweifel. Der Morgen begann zu dämmern, als sich Dr. Ferdinand auf den Weg zur Wohnstelle machte. Die ersten Vögel zwitscherten von den Bäumen. Es war still im Dorf. Die Menschen schliefen noch. Er schloss die Tür auf, streifte die verschwitzten Sandalen von den Füßen und setzte sich mit einer Zigarette auf den Absatz der Terrasse. In Gedanken sah er die junge Frau hilflos im Bett der Intensivstation liegen, die zu schwach war, um über das, was vorgefallen war, zu weinen. Sie wusste vielleicht nicht, dass sie schwanger war, und überließ jede Entscheidung über Leben und Tod dem Schicksal, den Schwestern und dem Arzt. Mit der Unabhängigkeit kamen Patienten, die mit HIV (Human Immunodeficiency Virus) infiziert oder an AIDS (Aquired Immunodeficiency Syndrome) erkrankt waren. HIV/AIDS war vor der Unabhängigkeit so gut wie unbekannt. Das Virus wurde von Menschen, die vom Norden die Grenze nach Namibia überquerten, mitgebracht. Es waren vorwiegend Männer und Frauen, die aus dem Exil zurückkehrten. Viele von ihnen waren PLAN-Kämpfer. Eine junge Frau hilft ihrer alten Mutter auf den Schemel. Die alte Frau klagt über Schmerzen in den Kniegelenken. Dr.

• 1985-1998 Arzt und Chirurg/Unfallchirurg am Hospital in Oshakati (im hohen Norden Namibias unweit der angolanischen Grenze; innerhalb der Kampfzone bis zur Unabhängigkeit 1990)• entwickelte eine Operationsmethode, Kindern mit chronischer Schienbein-Osteomyelitis (Knochenmarksentzündung) den langen Knochendefekt nach Sequesterentfernung mit vitalem Knochen aus dem Wadenbein zu schließen und so das Bein vor einer Amputation zu retten.

Anderes aus der Wirklichkeit



Die Sonne lag noch hinter dem Horizont, als die Hähne den Morgen einkrähten. Es war eine kurze Nacht gewesen, und Dr. Ferdinand rieb sich die Augen. Er ging unter die Brause und merkte, dass er noch nicht ganz da war. Er war in der Nachtmeditation dort hängengeblieben, wo die Gedanken vom Wollen als Zweck den Schritt aus der Zeitlosigkeit in die Zeit versuchten, um auf die Ursache der Dinge zu kommen und die dialektische Brücke von der Hegelseite auf die Marxseite überquerten und am Warnschild der Oktoberrevolution"Was tun?" steckenblieben. Die Gedankenfäden zogen wie Gummibänder auf die Hegelseite zurück. Doch die Brücke ging mit einem Knall in die Luft. Das Bild während der Meditation war so, dass der Gedankenträger auf der Marxseite vor dem großen Warnschild mit der Aufschrift>YTO DELATb ?< (Sto delatch? = Was tun?) stand, das auf einer zu schmalen und zu kurzen Latte angenagelt war, die schief im Boden steckte (wie so viele Kruzifixkreuze schief auf den flachen, versandeten Grabhügeln auf dem Friedhof der katholischen Missionsstation in Oshikuku steckten). Beim Lesen überkam ihn das unwohle Gefühl, dass es sich bei dem schief in den Boden gesteckten Schild auf der zu kurzen Latte um ein Warnschild handelt, das vor dem Minen- oder Schlachtfeld oder einem Arbeitslager warnt, dessen Betreten ohne ausdrückliche Genehmigung streng verboten war. Er las die Worte dreimal und zuckte dreimal zusammen, bei jedem Lesen einmal. Beim ersten Lesen sah er sich von einer Tretmine in die Luft geschleudert und zerrissen, wie er viele zerrissene Kinder nach Minenexplosionen gesehen und an ihnen zerfetzte Gliedmaßen amputiert hatte, wenn sie überlebten. Beim zweiten Lesen fühlte er den Schuss in den Rücken und das Runterlaufen des Blutes über die Hose. Da bildete sich im Nu eine Blutlache, in die er bewusstlos hineinsackte und verblutete. Beim dritten Lesen blieb er im elektrischen Zaun hängen und wurde von heranschießenden Bluthunden zerrissen und zerfleischt. Er war deshalb erschrocken, weil er als Kind so viele Schilder mit der Aufschrift:>CTOÜ !< (HALT !) gesehen hatte.


Das Telefon klingelte, und die Schwester vom 'Outpatient department' meldete einen Verletzten, dem ein anderer Schwarzer in den Bauch geschossen hatte. Dr. Ferdinand war noch nass vom Brausen, als ihn der Zweifel überkam, ob er es träumte, denn in vielen Träumen klingelte das Telefon, in denen die Schwester von Verletzten sprach. Besonders oft sprach die Schwester (im Traum) von Kindern mit abgerissenen Armen und Beinen. Doch dieses Telefonat war kein Traum, sondern die Wirklichkeit an einem Freitagmorgen, als die Sonne ihre ersten Strahlen in den Tag schickte. Er legte den Hörer auf, brummelte:"Frieden sollte fließen, doch das Schießen hört nicht auf!", trocknete sich ab, zog sich die Klamotten über, rutschte in die Sandalen und machte sich auf den Weg. Er nahm den kurzen Weg über den Platz vor der Munizipalität, ging an den fünf, hochgestelzten Caravan-Wohnstellen vorbei, überquerte die Straße mit den vielen Schlaglöchern, dann den geteerten Vorplatz mit dem Uringeruch und stand zehn Minuten nach dem Anruf vor der Trage mit dem Verletzten. Es war ein junger Mann, der blass im Gesicht war und vor Schmerzen stöhnte. Die Bauchdecke war gespannt und hatte den Einschuss links neben dem Nabel. Die Schwester hatte Blut aus der Armvene genommen und zur Bestimmung des Blutfarbstoffs und der Blutgruppe ins Labor geschickt. Der Puls raste, und der Blutdruck war abgesackt. Ferdinand informierte die Schwester im 'theatre' über die bevorstehende Notoperation und ließ den Narkosearzt vom Dienst aus dem Schlaf oder aus der Dusche klingeln.


Die Röntgenaufnahme des Abdomen zeigte das Geschoss im linken Oberbauch, dort, wo die Milz saß. Die Trage mit dem Verletzten wurde im Laufschritt zum 'theatre' gefahren, der Verletzte auf den OP-Tisch herübergehoben, die Manschette des Blutdruckapparats um den linken Oberarm gewickelt, das Narkosegerät herangefahren und die Sauerstoffmaske aufs Gesicht gehalten. Vom Labor wurde der Farbstoffwert des Blutes durchgegeben, der unter der Normgrenze lag. Der Laborant sagte, dass nur drei Konserven der Blutgruppe '0' im Kühlschrank seien, die er gleich zum 'theatre' bringen werde. Der Blutdruck ging nach unten, und das Fußende des OP-Tisches nach oben, damit das Venenblut aus den Beinen wirksamer zum Herzen kam, um die Blutversorgung der lebenswichtigen Organe mit Sauerstoff zu erhöhe