: Rafael Hüntelmann
: Grundkurs Philosophie VI Natürliche Ethik
: Editiones Scholasticae
: 9783868382051
: 1
: CHF 8.80
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: Allgemeines, Lexika
: German
: 186
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die natürliche Ethik erhebt den Anspruch, eine realistische und objektive Moralphilosophie zu sein, die ihr Fundament in der Natur des Menschen hat. Aus der Natur des Menschen als eines sinnlichen und rationalen Wesens, das bestimmte objektive Ziele und Zwecke verfolgt, ergeben sich Prinzipien und Gesetze für ein richtiges Handeln, durch das der Mensch seine objektiven Ziele erreicht und so glücklich werden kann. Der sechste Band des Grundkurs Philosophie fragt, welche Ziele und Zwecke zur Erfüllung der menschlichen Natur beitragen und worin das Wesen des Guten besteht. Nach der Darstellung von Grundzügen einer Theorie der natürlichen Ethik werden moralische und metaethische Grundbegriffe geklärt. Anschließend folgt eine kritische Auseinandersetzung der natürlichen Ethik mit anderen Moralphilosophien (Konsequentialismus, deontologische Ethik, Tugendethik, Diskursethik, Neue Naturrechtsethik) und abschließend die Anwendung der natürlichen Ethik auf verschiedene aktuelle Problembereiche. Das Buch setzt keine Kenntnisse der Ethik voraus und ist daher sowohl für Studierende im Grundstudium als auch für philosophisch Interessierte zur Einführung in die Thematik geeignet.

Rafael Hüntelmann, Dr. phil. ist Verleger und Dozent für Philosophie an verschiedenen privaten Hochschulen. Er ist Autor verschiedener Bücher und Aufsätze mit dem Schwerpunkt Ontologie und Metaphysik. Zuletzt ist von ihm erschienen, Grundkurs Philosophie Band V, Die Existenz Gottes.

Einleitung
Natürliche Ethik


Eine gewisse, wenn auch vielleicht unklare Vorstellung von dem, was Ethik ist, hatten Sie sicher schon, bevor Sie dieses Buch zu lesen begonnen haben. Sonst hätten Sie das Buch vermutlich gar nicht zu lesen begonnen. Wenn Sie jedoch eine Definition der Ethik geben sollen, wird es schon etwas schwieriger. Das Wort „Ethik“ kommt, wie viele philosophische Begriffe, aus dem Griechischen und bedeutet dort so viel wie Charakter, Gesinnung oder Sittlichkeit. Es geht also irgendwie um das richtige Handeln oder Verhalten, um „Charakterbildung“. Als philosophische Wissenschaft ist die Ethik die Wissenschaft vom sittlich guten menschlichen Leben. Der Gegenstand, das, worum es in dieser Wissenschaft geht, ist das menschliche Handeln, allerdings nicht das Handeln als solches, denn das ist Thema der Handlungstheorie, die heute eine eigene philosophische Wissenschaft ist. Es geht um das menschliche Handeln hinsichtlich eines guten, gelungenen oder glücklichen Lebens. Man könnte also die Fragestellung der Ethik so formulieren: Was muss ich tun, um wahrhaft glücklich zu werden?

Manchmal wird in der Gegenwartsphilosophie zwischen Moralphilosophie und Ethik unterschieden. In diesem Buch werde ich diese Unterscheidung nicht machen, sondern beides als identisch behandeln. Nach dem vorher Gesagten kann man Ethik jetzt folgendermaßen definieren: „Ethik oder Moralphilosophie ist jene Wissenschaft, die die freien menschlichen Handlungen, sofern sie mit dem letzten Ziel des menschlichen Lebens in Beziehung gebracht werden, aus den tiefsten Gründen zu erforschen sucht, soweit dies durch das Licht der Vernunft möglich ist, oder anders und kürzer gesagt:Die Ethik ist die Wissenschaft, die auf Grund der Vernunft aus den tiefsten Gründen zu erkennen sucht, wie der Mensch leben muss, damit er sein Ziel möglichst gut erreicht“ (Kälin, 1945, 1).

Diese Definition enthält mehrere Begriffe, die ich kurz erläutern möchte. Zunächst ist die Rede vonfreien Handlungen. Es geht in der Ethik nicht um alle möglichen Handlungen, wie sie z. B. von der Handlungstheorie oder der Psychologie untersucht werden, sondern nur um freie Handlungen. Reflexe, wie sie etwa vom Neurologen bei der Untersuchung des Nervensystems geprüft werden, sind keine freien Handlungen. Was genau der Begriff „frei“ bedeutet, muss noch geklärt werden, und dies ist auch ein Thema der Ethik. Wenn jemand mit einer Pistole am Kopf gezwungen wird, den Tresor zu öffnen, ist das Öffnen des Tresors jedenfalls keine freie Handlung.

Des Weiteren wird in der Definition gesagt, dass die Handlungen nur insofern betrachtet werden, als sie für dasletzte Ziel des Menschen von Bedeutung sind. Dies setzt voraus, (a) dass es ein solches letztes Ziel des Menschen überhaupt gibt, was natürlich begründet werden muss, und (b) dass es Handlungen gibt, die auf ein solches letztes Ziel gerichtet sind. Thema der Ethik ist somit die Untersuchung der Ziele bzw. Zwecke menschlicher Handlungen und die Frage, ob es ein letztes Ziel aller Handlungen gibt, und, wenn ja, was dieses letzte Ziel ist.

Einen dritten Punkt in der Definition möchte ich noch erwähnen, nämlich den, dass die Ethik oder Moralphilosophie eine Wissenschaft ist, die sich bei ihrer Forschung nur auf die menschliche Vernunft verlässt. Dies bedeutet, dass es in der Ethik nicht um Gebote oder Verbote geht, die z. B. durch eine Offenbarung bekannt gemacht wurden. Philosophische Ethik unterscheidet sich dadurch etwa von Moraltheologie, die eine göttliche Offenbarung zur Voraussetzung hat, zu der gehört, dass Gott bestimmte Gebote und Verbote gegeben hat, nach denen sich der Mensch richten sollte. Am bekanntesten, zumindest in der christlich-jüdischen Tradition, sind hier die Zehn Gebote. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine Ethik oder Moral, die auf Offenbarung beruht, einer rationalen Ethi