: Rafael Hüntelmann
: Grundkurs Philosophie III. Erkenntnistheorie
: Editiones Scholasticae
: 9783868382020
: 1
: CHF 8.80
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: Allgemeines, Lexika
: German
: 129
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Seit Jahrzehnten gibt es keine deutschsprachige Einführung in die aristotelisch-scholastische Erkenntnistheorie. Selbst zur Zeit der Neuscholastik, vor fast hundert Jahren, gab es kaum Schriften zu diesem zentralen philosophischen Fachgebiet. Daher fehlt auch jede Auseinandersetzung zwischen klassischer, aristotelisch-thomistischer und moderner Erkenntnistheorie. Die vorliegende Schrift versteht sich als ein erster Beitrag, diese Lücke zu schließen. In einem gut verständlichen, allgemeinen Grundriss wird die klassische Erkenntnistheorie vorgestellt, und vor diesem Hintergrund werden moderne epistemische Theorien diskutiert. Das Buch ist in vier Hauptkapitel gegliedert: 1. Was ist Erkenntnis?; 2. Arten der Erkenntnis und ihr Gegenstand; 3. Das Erkennen; 4. Erkenntnis, Wahrheit und Wissen.

Rafael Hüntelmann, Dr. phil. ist Verleger und Dozent für Philosophie an verschiedenen privaten Hochschulen. Er ist Autor verschiedener Bücher und Aufsätze mit dem Schwerpunkt Ontologie und Metaphysik. Zuletzt ist von ihm erschienen, Grundkurs Philosophie Band V, Die Existenz Gottes.

2. Arten der Erkenntnis und ihr Gegenstand


Ganz offensichtlich unterscheidet sich die Erkenntnis, die ein Regenwurm von seiner Umgebung hat grundlegend von der Erkenntnis eines Schulkindes in der ersten Schulklasse, das erstmals begreift, dass 2+2=4 ist. Die erste Art der Erkenntnis, die Erkenntnis des Regenwurms, kann man als sinnliche Erkenntnis bezeichnen, die natürlich sehr unterschiedliche Grade und Arten hat. Die zweite Erkenntnis, die des Schulkindes heißt rationale Erkenntnis und auch hier gibt es sicher unterschiedliche Grade. Dementsprechend können alle kognitiven Tätigkeiten in diese zwei grundsätzlichen Arten eingeteilt werden. Selbstverständlich sind es nicht zwei völlig verschiedene und getrennte kognitive Tätigkeiten, denn die rationale Erkenntnis ist nicht möglich ohne sinnliche Erkenntnis, setzt somit die sinnlichen Tätigkeiten und Fähigkeiten voraus.

Sinnliche Erkenntnis


Es gibt zunächst unterschiedliche Arten der sinnlichen Erkenntnis, nämlich Empfindungen, Wahrnehmungen, sinnliche Vorstellungen, Erinnerungen und ein sinnliches Schätzungsvermögen. Diese fünf verschiedenen kognitiven Tätigkeiten, die sich auch bei Tieren finden, wollen wir zunächst kurz bestimmen. Nicht jedes Tier alle diese Fähigkeiten, aber zumindest allen höheren Tieren kann man durchaus alle diese sinnlichen Vermögen gleichzeitig zuschreiben.

UnterEmpfindung versteht man ein durch einen äußeren Sinnenreiz auf ein Sinnesorgan bewirktes unmittelbares Erfassen eines Gegenstandes. Empfindungen haben alle Tiere und dies ist ein entscheidendes Kriterium der Unterscheidung zwischen der Tier- und Pflanzenwelt. Irgendein Reiz aus der Umwelt – sei es ein physikalischer oder chemischer Reiz, Geruch, Tastempfindung, aber auch Lichtwellen die auf ein Auge treffen – lösen bestimmte physikalisch-chemische Reaktionen im tierischen Organismus aus und bewirken eine Reaktion des Organismus. Durch solche Reize und ihre Aufnahme und Verarbeitung orientieren sich Tiere in ihrer Umwelt. Empfindungen sind noch keine Wahrnehmungen, sondern die Voraussetzung für Wahrnehmungen.

Unter einerWahrnehmung versteht man nämlich die Verbindung verschiedener Empfindungen zu einer Gesamterkenntnis. Seh-, Tast-, Geruchs-, Geschmacksempfindungen oder auch andere Empfindungen wie die Temperaturempfindung, werden zu einem Gesamteindruck über den Gegenstand verbunden. Beides, sowohl Empfindung als auch Wahrnehmung geschehen aber stets in unmittelbarem Kontakt mit dem Gegenstand. Dies ist ein Unterschied zur sinnlichen Vorstellung.

Diesinnliche Vorstellung (im Unterschied zur rationalen Vorstellung) stellt ein sinnlich wahrnehmbares Objekt vor, ohne dass dieses sinnlich gegenwärtig ist. Solche sinnlichen Vorstellungen finden sich auf jeden Fall bei allen höheren Tieren. Die sinnliche Vorstellung ermöglicht einem Tier z.B. durch einen bestimmten Geruch sich ein anderes Tier vorzustellen, dem Geruch zu folgen um es zu jagen oder sich mit ihm fortzupflanzen. Dabei ist das Objekt der Vorstellung nicht selbst gegenwärtig wie bei der Wahrnehmung.

Eng damit verbunden ist die Fähigkeit zur Erinnerung. Die Erinnerung unterscheidet sich von der Vorstellung dadurch, dass ein gegenwärtig erfasster Gegenstand als ein solcher erkannt wird, der bereits früher einmal erfasst wurde. So kann der Geruch, den ein Hund erschnüffelt als der eines anderen Hundes oder als der des Frauchens erkannt werden, oder auch als der eines Gegners, mit dem Hasso früher schon mal eine Rauferei hatt