: Veronica Stallwood
: Der Tod kommt rasch in Oxford Ein Kate-Ivory-Krimi
: beTHRILLED
: 9783732534692
: Kate Ivory
: 1
: CHF 4.40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 398
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Ein neuer Fall für die ermittelnde Schriftstellerin Kate Ivory. Eine atmosphärische Kriminalserie mit einer besonderen Heldin, deren scharfe Beobachtungsgabe und ungewöhnliche Methoden die gemütliche britische Stadt Oxford ordentlich durchwirbeln. Perfekt für Liebhaber von intelligenter und charmanter Cosy Crime, für Leser von Martha Grimes und Ann Granger.



<p><b>Veronica Stallwood</b> kam in London zur Welt, wurde im Ausland erzogen und lebte anschließend viele Jahre lang in Oxford. Sie kennt die schönen alten Colleges in Oxford mit ihren mittelalterlichen Bauten und malerischen Kapellen gut. Doch weiß sie auch um die akademischen Rivalitäten und den steten Kampf der Hochschulleitung um neue Finanzmittel. Jedes Jahr besuchen tausende von Touristen Oxford und bewundern die alten berankten Gebäude mit den malerischen Zinnen und Türmen und dem idyllischen Fluss mit seinen Booten. Doch Veronica Stallwood zeigt dem Leser, welche Abgründe hinter der friedlichen Fassade lauern.<br></p>

I


Ich war sechs Jahre alt, als mein Vater starb.

Man könnte meinen, die Ereignisse jener Nacht seien nach einer derart langen Zeit verblasst, doch sie lauern nach wie vor bis ins kleinste Detail in meiner Erinnerung wie die Piraten aus meinen Kinderträumen. Ein Grund für ihre Hartnäckigkeit mag sein, dass ich mich meiner Kindheit eher in Bildern als in Worten entsinne (was angesichts der Tatsache, wie wichtig mir Worte in meinem Leben als Erwachsener geworden sind, vielleicht merkwürdig anmutet).

»Steh auf.«

Die Stimme meiner Mutter drang bis in meinen tiefsten Schlaf. Ihre heiser, unmittelbar an meinem Ohr hervorgestoßenen Worte unterbrachen meine unruhigen Träume. Ich träumte von tosenden Brechern, die wütend gegen ein unwirtliches Gestade schlugen, von einem zerbrechlichen Schiff, das sich wie ein Splitter aus Jett gegen die granitgrauen Wogen abhob und von Wind und Regen gegen die felsigen Klippen einer sturmumtosten Küste getrieben wurde, während ich mich vergeblich bemühte, die unglückliche Besatzung zu retten. Ich hatte nämlich zwei Gestalten in diesem Boot erspäht, deren aufgerissene Münder tonlose Hilferufe ausstießen und deren Hände flehend winkten. Doch obgleich ich beherzt gegen die Trägheit meines Schlafs ankämpfte, versagten meine Gliedmaßen mir den Dienst und meine Stimme wurde ebenso wie die der unglücklichen Gestalten vom Schreien der Möwen hoch über meinem Kopf übertönt.

»Steh auf«, sagte meine Mutter noch einmal. Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. Sie rüttelte meine Schulter und wiederholte immer wieder denselben Satz: »Steh auf.«

Ich schlief als Kind sehr fest. Außerdem widerstrebte es mir, die beiden Schiffer ihrem nassen Schicksal zu überlassen, daher kämpfte ich gegen die Bemühungen meiner Mutter an. In diesem Augenblick waren die beiden Unbekannten in dem Boot für mich ebenso real wie meine Mutter oder mein Vater. Warum sollte ich aufwachen und mich in die schattenhafte Welt meiner Eltern begeben, wenn ich doch in meinem eigenen Universum voller Leben so dringend gebraucht wurde?

»Geh weg«, murmelte ich. Ich bezweifele, dass sie meine Worte verstand, aber sie flüsterte verärgert: »Zieh dich an, Joseph. Du musst dich anziehen und nach unten kommen.«

»Warum?« Wäre ich wirklich wach gewesen, hätte ich nie gewagt, die Anordnungen meiner Mutter auf diese Weise infrage zu stellen.

»Es geht um deinen Vater«, sagte sie. »Du musst mir helfen.« Und dann fügte sie einen Satz hinzu, der mir große Sorgen bereitete: »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Ihre Worte gaben mir das Gefühl, als würde die gesamte Verantwortung für die Familie auf meinen dafür ungeeigneten Schultern lasten. Wie aber hätte ich eine solche Bürde tragen sollen?

Inzwischen hatte ich die Augen geöffnet und versuchte, mich im Bett aufzusetzen. Meine Mutter hatte das Deckenlicht eingeschaltet, eine helle Birne in der Mitte des Zimmers, die mir unbarmherzig ins Gesicht schien. Sie saß sehr nah bei mir auf dem Bettrand. Ich konnte das Gemisch aus Parfüm und Angst riechen, das ihrem weichen Körper entströmte. Der süße Duft ihres Parfüms verband sich auf unangenehme Weise mit dem beißenden Geruch von Schweiß.

Ich blinzelte. Ihr Gesicht war mir nah – viel zu nah. Jetzt roch ich auch, dass sie Wein getrunken hatte, und entdeckte den dünnen, roten Rand auf ihrer Unterlippe, wo sie das Weinglas berührt hatte. Als sie erneut zu sprechen begann, sah ich, dass der Wein auch ihre Zunge rot gefärbt hatte, über die sich eine gegabelte, weiße Linie zog, die wie eine Schlangenzunge aussah.

»Zieh dich an. Sei ein braves Kind. Du kannst dich doch allein anziehen, oder?« Ihre Stimme war sanfter geworden und schien beinahe zu flehen. Ich saß im