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Endlich war der Frühling auch in Oxford angekommen und schlich auf Zehenspitzen die Cowley Road entlang.
Nachdem sich der Frühnebel aufgelöst hatte, wurde ein Schmutzfilm auf den Bürgersteigen sichtbar, der alles andere als Frühlingsgefühle hervorrief. In abgelegenen Seitenstraßen jedoch, ein Stück weit entfernt von den großen Verkehrsadern, wagten sich die ersten grünen Knospen hervor. Der Himmel über den Schieferdächern zeigte ein vielversprechendes Blau, und in Vorgärten und Blumenkästen reckten die ersten Narzissen neugierig ihre gelben Köpfchen in den sanften Wind. Schon bald würden an jedem Laternenpfahl Pflanzkörbe mit Petunien und Lobelien hängen, und staubige Fenster würden sich öffnen, um warme Luft hereinzulassen und dröhnender Musik zu gestatten, aus den Wohnungen zu entkommen und sich zu den Missklängen des Verkehrslärms zu gesellen.
Mit Beginn der warmen Jahreszeit überprüften Hausbesitzer die Wertsteigerung ihrer Immobilie seit dem vergangenen Herbst. Falls sie die Narzissen überhaupt bemerkten, dann lediglich als Blickfang für potenzielle Käufer, und auch die Petunien in ihren Hängekörben dienten lediglich als Hinweis darauf, dass man sich hier in einem aufstrebenden Stadtviertel befand, in das zu investieren sich lohnte. Sobald die Sonne sich wieder hinter einer Wolkenbank verschanzte und ein leichter Sprühregen einsetzte, träumten Paare davon, East Oxford gegen die Lavendelfelder der Provence oder die Olivenhaine von Zakynthos einzutauschen. Doch das Erwachen des Frühlings würde die Käufer sicher bald aus ihrem Winterschlaf locken.
Raphael Brown, seines Zeichens Immobilienmakler, drehte das Schild an seiner Tür auf »Geöffnet« und freute sich zuversichtlich auf einen Tag, an dem sich veränderungswillige Hausbesitzer bei ihm die Klinke in die Hand geben würden, um ihren Besitz zu veräußern.
Er schaltete seinen Computer ein und bewunderte einen Augenblick lang das pfiffige Logo auf der Startseite, ehe er seine E-Mails abrief. Zweiundfünfzig Nachrichten erwarteten ihn – achtundvierzig davon waren Spams. Als er gerade eine der Anfragen erledigt hatte, ging die Tür auf und ein Paar trat ein. Raphael (den außer seiner Mutter jedermann Rafe nannte), stand von seinem Schreibtisch auf und ging den beiden entgegen, weil seine Assistentin Jenny, die gewöhnlich die Begrüßung übernahm, auf einem Außentermin war. Die Kaufabsicht stand dem Paar geradezu ins Gesicht geschrieben.
»Wir sind auf der Suche nach einer Immobilie«, sagte der Mann dann auch wie auf ein Stichwort.
Oh ja, so sahen die idealen Käufer aus! Der Mann war hochgewachsen, etwa Anfang fünfzig und wirkte recht fit. Sein gebräuntes Gesicht ließ darauf schließen, dass er während der kalten Wintermonate irgendwo wärmende Sonnenstrahlen genossen hatte. Sein teurer Anzug war gerade robust genug, um auch für das Landleben zu taugen. Der modische Schnitt seiner silbergrauen Haare ließ ihn jugendlicher erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Der Mann sah aus, als wäre er einer Anzeige der ZeitschriftCountry Life entstiegen.
Auch Rafe wurde einer genauen Begutachtung unterzogen, dessen war er sich bewusst. Die grauen Augen des Mannes nahmen jedes einzelne Detail auf und verweilten lange auf Rafes Stirn, als versuche er, dessen Gedanken zu lesen. Rafe wich dem Blick aus und schaute aus dem Fenster auf den sauberen, sehr neu aussehenden Wagen, der genau auf der durchgezogenen, gelben Linie parkte. Ein BMW.
»Ist das Ihr Auto?«, erkundigte er sich.
Der Mann lächelte zustimmend.
»Sie sollten sich vorsehen. Die Politessen hier sind wie die Geier«, warnte Rafe. Doch der Mann machte lediglich eine wegwerfende Handbewegung; ein Bußgeldbescheid schien ihm nicht mehr zu bedeuten als eine Busfahrkarte, und Rafe ärgerte sich,