1. KAPITEL
Vier Jahre später.
Als das Flugzeug die Wolkendecke durchbrach, verrenkte Lucy Banks sich fast den Hals, um einen Blick auf das Inselreich Biryal erhaschen zu können. Doch unter ihr erstreckte sich nur das blau glitzernde Wasser des Indischen Ozeans.
Seufzend lehnte sie sich wieder zurück. Noch fühlte sie sich nicht bereit, sich Biryal zu stellen, geschweige denn dem Kronprinzen, Scheich Khaled el Farrar.
Khaled … Schon der Name ließ unzählige Bilder vor ihrem geistigen Auge aufblitzen. Sein atemberaubendes Lächeln, sein Blick, der den ihren quer durch einen überfüllten Pub nach einem Spiel gefangen nahm, das Prickeln, das sie überlief, wenn er ihr in die Augen schaute, das Glücksgefühl, das durch ihre Adern strömte und ihren Herzschlag beschleunigte.
Und dann folgten, gegen ihren Willen, stärkere, süßere Erinnerungen. Jene, die sie dicht in ihrem Herzen bewahrte, obwohl ihre Vernunft ihr gebot, sie zu vergessen. Einen Moment erlaubte sie sich, sich doch in ihnen zu verlieren und errötete, weil zusammen mit den Bildern auch das Verlangen in ihr aufstieg. Immer noch.
Sie lag in Khaleds Armen. Träge strömte das goldene Licht des Nachmittags durch die Fensterläden. Ein helles Lachen entrang sich ihrer Kehle. Seine Lippen berührten die ihren, seine Hände streichelten ihren Körper, als sei er ein unermesslicher Schatz, während sie sich gemeinsam bewegten, ihre Seelen miteinander verschmolzen.
Schamlos gab sie sich seinen Liebkosungen, seinen Zärtlichkeiten hin. Sie genoss die Freiheit, zu lieben und geliebt zu werden. Alles schien so einfach zu sein, so klar, so richtig.
Die Scham war später gekommen, hatte ihre Seele verbrannt und ihr Herz gebrochen, als Khaled ohne Erklärung, ohne ein Wort des Abschieds England verlassen hatte.
Sie fragte seine Teamkameraden. Alles, was sie wussten, war, dass er schlicht gegangen war.
Lucy schluckte und drängte die Erinnerungen zurück.
„Alles in Ordnung?“, fragte Eric Chandler und ließ sich auf den Sitz neben sie fallen.
Trotzig hob Lucy das Kinn und zwang sich zu einem Lächeln. „Es geht mir gut.“
Von all den Menschen, die ihre Verliebtheit mitbekommen hatten verstand Eric es – sie – vielleicht noch am ehesten. Er war Khaleds bester Freund gewesen. Und nach seinem Verschwinden war er ihrer geworden.
Doch sein Mitgefühl wollte sie nicht; es grenzte zu sehr an Mitleid.
„Du hättest nicht mitkommen müssen“, sagte er.
Dieses Gespräch hatten sie schon einmal geführt, als zum ersten Mal von einem Freundschaftsspiel gegen Biryals neu aufgestellte Rugbymannschaft die Rede war.
Müde schüttelte sie den Kopf. Sie hatte keine Lust, die alten Gründe zu wiederholen. Eric wusste genau, weshalb sie diesen Schritt gehen musste.
„Du schuldest ihm gar nichts“, fuhr er fort.
Lucy seufzte. „Ich schulde Khaled die Wahrheit“, erwiderte sie leise.
Die Wahrheit, mehr nicht. Sie wollte ihm eine Botschaft übermitteln, dann konnte sie mit ruhigem Gewissen und leichtem Herzen wieder gehen. Aus diesem Grund war sie nach Biryal gekommen. Um Khaled zu sehen und die Sache ein für alle Mal zu beenden.
Angespannt stand Khaled auf der Landebahn von Biryals einzigem Flughafen und beobachtete, wie die große Maschine zur Landung ansetzte.
Sein Magen zog sich zusammen, ein pulsierender Schmerz beherrschte sein Knie. Dennoch setzte er eine entspannte Miene auf und lächelte.
Wer würde in dem Flugzeug sitzen? Er hatte sich die Passagierliste nicht allzu genau angesehen. Einige Spieler von früher würden dabei sein, manche aus dem Begleitteam würde er kennen und natürlich den Trainer, Brian Abingdon.
Seit er damals halb bewusstlos vom Platz getragen worden war, hatte er außer Eric keinen von ihnen mehr gesehen.
Und was war m