Manuela Schörghofer – Wolfsliste
Vereinzelt fielen noch einige Tropfen vom Dachrand. Durch das Fenster beobachtete ein schmächtiger Junge ihren Weg zur Erde. Der kräftige Regen hatte die lehmige Straße von Mansfeld aufgeweicht und überall Pfützen hinterlassen.
Hoffnungsvoll reckte Martin den Hals, sah den schlammigen Weg entlang. Doch Nikolaus Ömler, seinen älteren Kameraden, der ihn manchmal zur Schule trug, konnte er nicht entdecken.
»Trödel nicht, sonst kommst du zu spät.« Die strenge Stimme seiner Mutter ließ Martin zusammenzucken. Hastig warf er einen Blick über die Schulter.
Margaretha Luder war nicht groß gewachsen. Ihre rauen Hände, mit denen sie so oft Holz im Wald sammelte, hielten das kleinste der Geschwister auf der Hüfte fest. Ihre Mundwinkel hingen stets ein wenig nach unten, was ihr Gesicht verhärmt aussehen ließ. Ihre Lippen waren fest zusammengekniffen, während sie ihren ältesten Sohn betrachtete.
»Ja, Mutter, ich beeile mich.« Martin öffnete die Haustür und drückte seine Schultasche fester an sich, als könnte sie ihn vor dem feuchten Wetter schützen. Seine dunklen, sorgfältig gekämmten Haare wurden von einer Mütze verdeckt, die er sich tiefer in die Stirn zog, bevor er über die Schwelle des elterlichen Hauses trat.
Vorsichtig sprang Martin über die Pfützen, darauf bedacht, nicht hineinzutreten. Schmutzige Schuhe waren der Mutter ein Gräuel und zogen Ärger nach sich. Obwohl er spät dran war, warf er – wie jeden Morgen – einen Blick auf die Burg der Grafen von Mansfeld, die hoch über der jungen Stadt thronte. Ihren Wohlstand verdankten sie den reichen Kupfervorkommen der Gegend. Martins Vater, Hans Luder, hatte von ihnen eine Hütte gepachtet, wo aus dem abgebauten Kupferschiefer Rohkupfer herausgeschmolzen wurde. Wie die Mutter, so erwartete auch der Vater gute Leistungen von seinem Ältesten. Martin seufzte, als er seinen Weg fortsetzte. Die Mansfelder Trivialschule, die durch die Großzügigkeit der Grafen errichtet worden war, lag nicht weit entfernt. Das zweistöckige Gebäude befand sich neben der St. Georgkirche, einem romanischen Gotteshaus aus einem vorherigen Jahrhundert.
Magister Schneider, ein großer hagerer Mann mit einer raubvogelartigen Nase, die stets ein wenig zitterte, wenn sein Träger zornig war, wartete mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor der Eingangstür. Er musterte die Schüler, die sich in Zweierreihen aufgestellt hatten.
»Hallo Hans«, murmelte Martin, als er neben seinen besten Freund, Hans Reineke, huschte. Er war ebenfalls der Sohn eines Hüttenmeisters, hatte etwa Martins Größe, war aber von kräftigerer Statur. Die Haare standen ihm immer ein wenig wirr vom Kopf ab, so sehr er sich auch bemühte sie glattzukämmen.
Magister Schneiders Blick wanderte streng über die Schüler, bis kein Laut mehr von ihnen zu hören war. Erst dann ließ er die Jungen eintreten. Der Klassenraum war karg und überschaubar. Die Pulte standen in drei Reihen geordnet. Von der gekalkten Wand auf der rechten Raumseite schaute der Gekreuzigte zur Fensterfront gegenüber.
Schweigend gingen die Kinder zu ihren Plätzen. Der Lehrer schloss die