1. KAPITEL
Coeffin Castle, Lismore, Schottland,
Februar 1287
In der Großen Halle war es still bis auf den Lärm der beiden Kinder, die auf unsichtbaren Ponys umhergaloppierten und Stöcke gegeneinander schwangen, als wären es Schwerter. Juliana MacDougall liebte ihre kleinen Neffen, aber im Augenblick war ihr nicht nach Lächeln zumute. Ein Zittern durchlief sie, und es war nicht die winterliche Kälte, die sie erschauern ließ, sondern die geballte Angst in ihrem Innern.
Sie ließ den Blick zu ihrer Schwester Mary gleiten, die auf der anderen Seite der Halle an der langen Tafel saß und ihren jüngsten Sohn stillte. Die innige Verbundenheit zwischen Mutter und Säugling zu sehen berührte Juliana tief, zumal sie selbst keine Kinder hatte. Mary war ihre beste Freundin, obwohl der Altersunterschied zwischen ihnen neun Jahre betrug, und Juliana konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als ihre große Schwester bei sich zu Gast zu haben. Sie wäre froh gewesen, wenn es sich bei dem derzeitigen Besuch um einen rein familiären gehandelt hätte, doch dem war nicht so. Mary hielt sich wegen des Krieges auf Coeffin Castle auf.
Und es herrschte Krieg, weil Schottland keinen König hatte.
Allmächtiger, würde es je wieder Frieden geben? In Julianas Schläfen begann es schmerzhaft zu pochen. Wie sie es hasste, dazusitzen und auf Nachricht von denen warten zu müssen, die sie liebte!
Mary blickte auf. Sie war eine schöne Frau mit himmelblauen Augen und rötlich blondem Haar, und ihre natürliche Anmut zog Männer wie Frauen gleichermaßen in ihren Bann. Ein warmherziges Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus, doch die Sorge in ihren Augen war unübersehbar, als sie ihren zwölf Monate alten Sohn auf den anderen Arm nahm, um ihr Übergewand zu richten. „Ich werde Thomas demnächst entwöhnen müssen“, sagte sie sanft.
Juliana nickte. „Du hast recht, es wird Zeit.“ Im Frühsommer erwartete Mary ihr viertes Kind, auf das sie sich ebenso freute wie Juliana, die auf eine kleine Nichte hoffte.
Marys Lächeln verblasste. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass Buittle erobert wurde“, sagte sie bitter. Die Burg hatte John Balliol gehört, sie war Teil der Mitgift gewesen, die seine Frau in die Ehe eingebracht hatte. Eben erst war die Botschaft vom Fall von Buittle Castle überbracht worden.
Die beiden Jungen stießen Schlachtrufe aus und hieben wie wild mit den Stöcken aufeinander ein. Julianas Kopfschmerz wurde schlimmer, und sie stand auf. „Roger! Donald! Schluss jetzt!“
Ihre vier und fünf Jahre alten Neffen konnten sich kaum halten vor Lachen, unterbrachen jedoch ihr Spiel und sahen ihre Tante kichernd an. Der blonde Donald warf seinem sommersprossigen, rothaarigen Bruder einen verschwörerischen Blick zu, dann hob er