2. KAPITEL
Darwin, die nördlichste Stadt Australiens, war nach Charles Darwin benannt worden. Dort gab es nicht Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern nur Trockenzeit und Regenzeit. Während der feuchten Jahreszeit war auf dem übrigen Kontinent Frühling und Sommer, während der trockenen Herbst und Winter. Aber da die Temperatur in Darwin tagsüber selten unter dreißig Grad sank, war Winter für diese Zeit eine eher unpassende Bezeichnung.
Die heiße, trockene Jahreszeit hatte gerade begonnen, als Tatiana Constantin mit ihrem Ehemann zur Feier anlässlich ihres ersten Hochzeitstages fuhr. Es könnte viel schlimmer sein, dachte sie, während sie sich in dem komfortablen cremefarbenen Ledersitz des blauen Jaguars zurücklehnte. Auf dem Höhepunkt der feuchten Jahreszeit zum Beispiel war die Luftfeuchtigkeit unerträglich hoch. Außerdem gab es häufig heftige Wirbelstürme und Überschwemmungen.
Tatiana warf Alex einen Blick von der Seite zu. Im Gegensatz zu ihr war er in Darwin geboren und aufgewachsen. Die Strapazen der Regenzeit schienen ihn nicht weiter zu kümmern. Dann musste sie an Leonie Falconer denken, Alex’ ehemalige Geliebte.
Miss Falconer entwarf Schmuck und hatte eine eigene kleine Goldschmiede. Tatiana hatte sie bereits auf Fotos gesehen, war ihr jedoch noch nie begegnet. Ich muss ziemliches Glück haben, dachte sie. Schließlich war Darwin keine sonderlich große Stadt.
Obwohl Tatiana natürlich keine besonders gute Meinung von Alex’ Geliebten hatte, musste sie deren Mut und Unverfrorenheit anerkennen. Offenbar hatte Leonie Falconer die Einladung angenommen und dann dafür gesorgt, dass Alex sie nicht erreichen konnte. Wozu, um alles in der Welt, wollte sie überhaupt zur Feier kommen? Und warum hatte Alex’ Mutter sie eingeladen? Am meisten beschäftigte Tatiana jedoch die Frage, seit wann Leonie Alex’Ex-Geliebte war.
So viele ungeklärte Fragen, dachte sie. Aber das größte Rätsel war Alex selbst, der neben ihr saß und das elegante Auto so sicher und geschickt zur Villa seiner Eltern fuhr. Die beiden lebten in Fannie Bay, einem Vorort von Darwin.
Alex war von Anfang an nicht leicht zu durchschauen gewesen, und das Zusammenleben mit ihm stellte die bisher größte Herausforderung in Tatianas Lebens dar. Seit sie verstanden hatte, was vor sich ging, hatte sie sich in Acht genommen. Sie wusste, wie wichtig es war, einen klaren Kopf zu behalten und sich nicht anmerken zu lassen, dass sie das Ränkespiel ihrer Mutter und der Constantins durchschaut hatte. Bis vor einer halben Stunde war Tatiana dies auch gelungen. Doch die wunderschöne Kette und das Gefühl von Alex’ Fingern auf ihrer Haut hatten sie aus der Fassung gebracht. Auch der Gedanke an Leonie Falconer verstörte sie sehr.
Tatiana verkrampfte die Hände im Schoß und fragte sich, wie viel sie bereits von ihren Gefühlen preisgegeben hatte. Ein ganzes Jahr lang habe ich mich zusammengerissen und mir nichts anmerken lassen, dachte sie verzweifelt. Und dann waren ihre Bemühungen innerhalb weniger Minuten zunichte gemacht worden. Immer wieder musste Tatiana daran denken, wie sie sich und Alex nebeneinander im Spiegel betrachtet hatte. Sie war ganz überwältigt gewesen von seiner maskulinen Ausstrahlung.
Habe ich mir nur eingebildet, dass irgendetwas anders war? fragte Tatiana sich. Oder war das nur Wunschdenken? Normalerweise verhielt Alex sich ihr gegenüber sehr zurückhaltend. Dass er sich heute so anders verhalten hatte, verwirrte sie. Wenn er doch nur nicht fast im selben Atemzug seine Geliebte erwähnt hätte!
Erneut warf Tatiana ihm unauffällig einen Blick von der Seite zu. Auch wenn Alex sich distanziert verhielt, strahlte er maskulinen Charme aus. In dem schlichten, eleganten Anzug und dem blauen Hemd sah er einfach fantastisch aus. Bei seinem Anblick klopfte Tatianas Herz heftig.
Alex war sehr attraktiv: groß, schlank und muskulös. Er besaß einen ausgeprägten Sinn für Humor, konnte sehr freundlich, aber auch äußerst spöttisch sein. Doch er gab nur selten preis, was in ihm vorging. Tatiana verstand noch immer nicht, warum er sich auf die arrangierte Ehe mit ihr eingelassen hatte. Hatten seine Gründe – ebenso wie ihre – vielleicht mit ihren beiden Rinderfarmen zu tun?
„Wir sind da, Tatiana.“
Tatiana zuckte zusammen. Sie verdrängte ihre Grübeleien über Alex und stellte fest, dass sie bei der hell erleuchteten Villa ihrer Schwiegereltern angekommen waren. Unzählige Autos parkten bereits am Straßenrand.
„Ja.“ Sie nickte und atmete tief ein. „Dann also: Auf in den Kampf!“
Alex lachte und hob kurz ihr Kinn an. „Du bist wirklich klasse, Tatiana“, sagte er liebevoll und fügte hinzu: „Sei einfach du selbst, und genieße die Feier – falls das möglich ist.“
Wie soll ich mich denn amüsieren, wenn deine Geliebte auch kommt? dachte Tatiana. Außerdem würde ihre Mutter da sein, und Alex’ Mutter – die ihr, Tatiana, sicher wieder wertvolle Tipps geben würde, damit sie endlich schwanger werden würde … Auch dass Alex sie beha