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Der Kaffee in dem Pappbecher schmeckte wie öliger Rost. Kari Bergland verzog das Gesicht, trotzdem nahm sie einen weiteren tiefen Schluck. Im Augenblick war sie nicht wählerisch, das Zeug war heiß und enthielt Koffein, damit hatte es seinen Zweck erfüllt. Sie rammte den Becher in den Tassenhalter zwischen Fahrersitz und Beifahrersitz ihres Golfs. Letzterer war im Moment nicht besetzt, da ihr Kollege Torolf Vangen ausgestiegen war.
Sie blickte durch die verdreckte Windschutzscheibe nach draußen. Ihr Gesicht spiegelte sich blass und geisterhaft vor dem Abendlicht. Der Himmel über den Zapfsäulen der Esso-Tankstelle im Kanalveien hatte eine kobaltblaue Farbe angenommen. Wo sie auf das dunkle Moosgrün der bewaldeten Hügel traf, die Bergen an Norwegens Westküste von drei Seiten umgaben, verschmolzen die beiden Farben allmählich miteinander zur Dämmerung. Der lange Tag wich jetzt, Anfang Juni, nur spät einer kurzen Nacht. Viel war passiert, und ihr Dienst war noch lange nicht beendet.
Während sie mit ausgeschaltetem Motor darauf wartete, dass Torolf den Tank auffüllte, drifteten Karis Gedanken zu Marius Dahle, der nur wenige Minuten von hier in einem Bett des Universitätskrankenhauses lag. Während der Notoperation hatten Torolf und sie stundenlang auf dem Gang vor der Doppeltür zur Intensivstation gewartet. Den glatzköpfigen Riesen, der Dahles Kollege und bester Freund war, hatte es nicht für fünf Minuten auf einem der Plastikstühle gehalten. Stattdessen war er unruhig den Gang auf und ab getigert.
Sie selbst hatte mit gesenktem Kopf nahe dem Eingang gesessen und auf den grauen Boden gestarrt. Hatte Torolfs Schritte gezählt, einundzwanzig vorwärts, einundzwanzig zurück, während sie gleichzeitig darauf lauschte, dass sich die Tür zur Intensivstation öffnete. Darauf, dass irgendjemand, ein Arzt oder eine Schwester, scheißegal wer, Hauptsache jemand mit Ahnung, ihnen sagte, wie es um ihren Kollegen stand.
Schließlich hatte ein hagerer älterer Mediziner mit aschgrauem Kettenrauchergesicht die Doppeltür aufgestoßen. Torolfs Schritte rissen sofort ab. Die Operation sei vorüber, verkündete der Arzt.
»Und was heißt das jetzt, verdammt?«, hatte Torolf ihn gereizt angeblafft.
Der Hagere hatte den muskelbepackten Glatzkopf vor ihm mit der enervierend geduldigen Miene eines Leichenbestatters gemustert und ruhig erwidert: »Das heißt, dass wir abwarten müssen, ob ihr Kollege die Nacht übersteht. Die Chancen stehen fifty-fifty. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Für einen winzigen Moment hatte Kari geglaubt, Torolf würde sich auf den Mann stürzen. Doch bevor sie ihm in den Arm fallen konnte, hatte er sich bereits wortlos umgedreht und war den Gang Richtung Foyer hinuntergestiefelt. Kari hatte dem Hageren mit einem Nicken gedankt und war ihrem Kollegen schnell gefolgt. Er hasste Krankenhäuser, das wusste sie. An dem Tag, als seine Lara geboren wurde, hatte er sich mit einem Flachmann in der Jackentasche am Eingang zur Klinik herumgedrückt und auf den erlösenden Anruf gewartet, eine Hand am Mobiltelefon, als hoffte er, die Vibration noch vor dem Klin