Über das
Schwärmen
Es war der 18. September 1970. Ich stieg die Gangway herunter, war von der West- zurück an die Ostküste geflogen, von Los Angeles nach Philadelphia, und hatte Kalifornien, das damals gelobte Land, hinter mir gelassen. Ein zukünftiger Arbeitskollege holte mich bereits auf dem Rollfeld ab. Jimi Hendrix ist tot, sagte er zur Begrüßung. Mir verschlug es die Sprache. Hatte er nicht gerade noch, vor wenigen Tagen, in Deutschland ein Konzert gegeben, auf der Insel Fehmarn? Während der gesamten anschließenden Fahrt nach Camden, New Jersey, wo ich in meiner Eigenschaft als Kriegsdienstverweigerer am nächsten Tag in einer von Schwarzen und Puerto-Ricanern bewohnten Gegend meinen Ersatzdienst antreten sollte, blieb ich stumm, ja, war geradezu mit Stummheit geschlagen.
Jimi Hendrix war mein erster Schwarm. 1966 hörte ich zum ersten MalHey Joe. Ich lebte damals im Internat, ging in die Obertertia, und wir taten in unserer Freizeit nichts anderes als Rockmusik zu hören. Als seine Gitarre in meine Welt einbrach, war nichts mehr wie vorher. Sein Spiel kehrte mein Innerstes nach außen, machte mich taub gegen musikalische, überhaupt gegen jegliche Art von ‚Unterhaltung‘, ermöglichte mir die Flucht aus dem langweiligen Internatsalltag und linderte Kummer und Selbstzweifel.
Im Januar 1969, ich war siebzehn Jahre alt, sah ich Hendrix zum ersten Mal leibhaftig auf der Bühne. Ich hatte eine Sondererlaubnis bekommen, fuhr am Nachmittag mit dem Zug vom Internat in meine Heimatstadt, holte das um einige Zentimeter zu lange Haar, das ich immer hinter den Ohren versteckte, hervor, schloss mich in der Zugtoilette ein, schlüpfte in die damals angesagte Kleidung, die ich im Internat nicht tragen durfte, Schlaghose und gebatiktes T-Shirt, und entstieg dem Zug als freier junger Mann.
Was mir von dem Konzert am deutlichsten in Erinnerung geblieben ist, ist die Stille, die während seines Gitarrenspiels im weiten Rund der Sporthalle geherrscht hatte und in die sich die Soli ergossen wie in ein großes Gefäß. Zutiefst bewegt, fuhr ich am späten Abend zurück ins Internat: Er war mir erschienen.
Nun dringt seine Musik aus dem Zimmer meines