Bayreuth, ahnungslos
Champagner in Strömen – aber kein Glück ist ungetrübt
In den Adern echter Operndivas fließt kein Blut, sondern Champagner.
„Herr Ober …“ Ich winke mit der leeren Champagnerflöte dem jungen Kellner zu, der auf einem übergroßen Tablett Nachschubflöten balanciert.
„Du hast schon genug getrunken!“
Eine kleine Hand krallt sich in Höhe meines Hinterns in den Tüll meines Ballkleides und zerrt energisch daran.
Die Hand gehört Marie-Luise ‚Bröcki‘ Bröckinger, meiner kleinwüchsigen Agentin-Schrägstrich-Freundin. Was ihr an Körpergröße fehlt, macht sie durch Willenskraft wett. Ich bin die kapriziöse Künstlerin, sie ist die pragmatische Vernunftsperson. Als Team sind wir nach außen hin unschlagbar, aber innen gibt es jede Menge Reibungsfläche.
Aus Hüfthöhe zischelt sie mir zu: „Du weißt, der erste Eindruck zählt! Willst du dich hier als Schnapsnase einführen? Ausgerechnet hier?“
„Champagnernase, wenn schon. Und ich brauche das jetzt!“
Hier – das ist der grüne Hügel von Bayreuth. Genauer gesagt, das Steigenberger Festspielrestaurant.
Weil die Sommernacht lau ist, stehen wir beim Schampusnippen, Häppchenmümmeln und Plaudern alle auf der Terrasse: Sänger und Sängerinnen, Festspielleitung, Mitglieder des Freundeskreises, handverlesene Gäste.
Ich kann durchaus ein paar Minuten dauerlächeln und mich von meiner besten Seite zeigen, aber nicht für mehrere Stunden. Irgendwann schwächelt meine Gesichtsmuskulatur. Nur prickelnder Alkohol kann sie dann wieder in Lächelstellung festzurren.
„Danke, Frau Miller möchte nur ihr Glas abgeben“, sagt Bröcki zum Kellner und zerrt erneut am Tüll.
„Lass das!“, schimpfe ich.
Das Kleid hat mir Karl Lagerfeld auf den Leib geschneidert. Und zwar buchstäblich! Ein Leib, der – als Karli seine professionelle Hand anlegte – noch etwas schmaler war als jetzt, weswegen die Nähte Schwerstarbeit leisten müssen, um nicht zu platzen. Es besteht die ganz konkrete Möglichkeit, dass ich aus dem Kleid herausplatze. Das wäre doch mal ein unvergesslicher erster Eindruck! Aber den möchte ich, wenn’s geht, vermeiden …
Der Kellner nimmt mir das Glas ab und geht weiter.
Ich schmolle.
An meinem linken Ohr schnarcht es.
Radames, mein heißgeliebter Boston Terrier, liegt wie ein Hermelinkragen über meiner Schulter.
Wer ihn kennt, weiß, Radames ist Narkoleptiker, was bedeutet, dass er jedes Mal, wenn er sich sehr freut – oder aufgeregt ist oder sich erschrickt – abrupt einschläft. Allerdings liegt er gerade nicht in narkoleptischem Koma-Schlaf auf meiner Schulter, sondern ruht seinen kleinen Terrierkörper in ganz normalem Erschöpfungsschlaf aus. Während ich heute Nachmittag in einem der Probenräume des Festspielhauses die erste Sitzprobe absolvierte, preschte er an der Leine – an deren anderem Ende mein Chauffeur-Schrägstrich-Freund Yves hing – wild begeistert durch den Hofgarten, wie man mir zugetragen hat. Radames muss sich jetzt einfach regenerieren.
Und um beide Hände frei zu haben, drapierte ich ihn wie ein Accessoire über meine Schulter. Es hat durchaus Vorteile, wenn man einen handtaschenkompatiblen Schoßhund hat und keinen Bernhardiner oder irischen Wolfshund sein Eigen nennt.
„Ach, Frau Miller, darf ich sagen, welche Freude es mir und meiner Frau ist, dass Sie uns dieses Jahr bei den Wagner-Festspielen die Ehre geben?“
Ein Wagnerianer.
Man erkennt den echten Wagnerianer am fortgeschrittenen Lebensalter, den – für so alte Männer – einen Tick zu langen Haaren, den Bequemschuhen in Dunkelbraun zum teuren, aber nicht maßgeschneiderten schwarzen Anzug. Manche der Herren tragen auch ein Beret oder statt einer Fliege ein lässig gebundenes Seidentuch wie Lord Byron.
Da es auf Mitternacht zugeht und wir hier schon seit über fünf Stunden feiern, zolle ich dem Durchhaltevermögen des greisen Opernliebhabers Respekt. Und der Tatsache, dass ich ohne sein Interesse – und das der anderen Hardcore-Wagnerliebhaber – nicht hier sein könnte.
Ich knipse folglich mein Lächeln an, während ich ihm die Hand reiche, die er nicht schüttelt, sondern zum Mund führt. Er haucht einen Kuss in die Luft über der Hand. Das ist noch gute alte Schule! Mein Lächeln wird einen Tick echter.
„Das dürfen Sie mir gern sagen, vielen Dank. Wenn Sie wüssten, wie sehr ich mich freue, hier singen zu dürfen!“ Das ist nicht gelogen, sondern kommt ganz tief aus meinem Herzen. Den Sopranistinnen von m