1. Alternativen zur Alternativlosigkeit
Washington D.C., den 20.1.2017: Trump tritt an das Rednerpult auf dem Westflügel des Kapitols. Hinter ihm frühere Präsidenten und das Establishment, gegen das der neu gewählte Präsident die vergangenen Monate gewettert hatte. Vor ihm eine Menge von Schaulustigen, die eine sehr außergewöhnliche Antrittsrede zu hören bekommen. Außergewöhnlich? Üblicherweise dienen diese Ansprachen dazu, die Grabenkämpfe des Wahlkampfes hinter sich zu bringen, die Spaltung des Landes zu überwinden und geeint die aktuellen Herausforderungen anzugehen. Jeder amerikanische Präsident des 20. Jahrhunderts hat sich an dieses Ritual der Wiederversöhnung gehalten, das den eigenen Auftrag in den Dienst des Gemeinwohls stellen und in das Narrativ einer glorreichen nationalen Geschichte einreihen soll. Der Dank an den vorherigen Präsidenten und die Würdigung der friedlichen Übergabe demokratischer Macht sind fest im Protokoll des Amtsantritts verankert. Eigentlich nichts Besonderes, sondern vor allem viel Symbolpolitik.
So dachte man. Doch Trump hatte andere Pläne. Gleich in den ersten Sätzen seiner Rede hob er, nach einem flüchtigen Dank an seinen Vorgänger Barack Obama, die besondere Bedeutung seiner Präsidentschaft hervor: »Denn heute übergeben wir die Macht nicht nur von einer Regierung an die nächste oder von einer Partei an die andere, nein, heute übertragen wir die Macht von Washington D.C. zurück an Euch, das amerikanische Volk.« Die Miene Obamas, den man im Kamerablick während der ganzen Rede im Hintergrund Trumps beobachten konnte, verfinsterte sich spätestens mit den nächsten Sätzen: »Zu lange hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unseres Landes die Früchte des Regierens geerntet, während die Bevölkerung die Kosten dafür getragen hat. Washington blühte und gedieh, aber die Bevölkerung bekam von dem Reichtum nichts ab.«1
Dass Trump kein gewöhnlicher Präsidentschaftskandidat war, wusste man zuvor. Doch viele hofften, das Amt würde ihn schnell prägen. Trumps Antrittsrede auf dem Kapitol war ein erstes Zeichen dafür, dass diese Hoffnungen fehl am Platz waren. Außerdem deutete sich bereits zu jenem Zeitpunkt an, dass die Krise der Demokratie sich nicht auf die USA beschränken würde. Auch andere Neonationalisten sahen ihre Stunde gekommen. Trump-Günstling Nigel Farage, der ehemalige Parteichef der britischen rechtsnationalen UK Independence Party (Ukip), war beim Amtsantritt auch in Washington D.C. Den Erfolg Trumps wertete er als Omen für die Renationalisierung auf der europäischen Seite des Atlantiks: »Der Brexit war der erste Stein, der aus der Mauer brach, und der Sieg von Trump war ein weiterer Brexit aus dem Gefüge der globalen Szenerie.« Diese Dynamik würde wiederum ihre Fortsetzung in Europa finden, beispielsweise im italienischen Referendum, in dem »das Volk mit einer Bazooka eine ganze Salve gegen das Pro-EU-Establishment abgefeuert [hat] und so denjenigen, die sich gegen den Zentralismus der Macht wehren und gegen die Strenge und die Vorschriften Brüssels auflehnen, eine Stimme« gab.2
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