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Der Kaffeeautomat ist schon wieder defekt. Jens steht mit hängenden Schultern vor der Maschine und betrachtete die blinkenden Knöpfe, deren Morsecode ihm eine eindeutige Nachricht übermittelt:Heute kein Kaffee, du Idiot, trink Wasser! Das ist die unschwer zu dechiffrierende Botschaft. Selber schuld, denkt Jens, und drückt ein weiteres Mal auf die Espresso-Taste. Jana sagt ihm mindestens einmal pro Woche, eine Thermoskanne mit Grünem Tee sei gesünder als Automatenplörre, mit der er sich die Magenschleimhaut kaputtmacht.
Er nimmt den Becher aus dem Fach und betrachtet die traurige Pfütze darin. Der Sud, welchen der Automat ausgespuckt hat, ist durchsichtig, riecht nach Spülwasser und hat mit Kaffee so viel gemeinsam wie Crème brûlée mit Fruchtquark vom Discounter. Um Espresso handelt es sich in keinem Fall. Da muss man kein Italiener sein, um diese Brühe als ungenießbaren Angriff auf die Geschmacksnerven einzustufen.
Jens erinnert sich noch genau, wer die glorreiche Idee hatte, eine Maschine zu pachten und von einer externen Firma betreiben zu lassen, damit es keine Streitereien unter Kollegen über vergessene Einkäufe mehr gibt: Römer, Vorgesetzter und Silberrücken des Kommissariats.
Jens schlägt mit der Faust gegen den Automaten und sieht sich dann vorsichtig um, ob er beobachtet wurde.
„Ade Kaffee“, sagt er zu sich selbst und lässt den Pappbecher – eine Umweltsauerei ist das – in den Mülleimer fallen, um frustriert ins Büro zurückzukehren.
Tina sitzt in gebückter Haltung vor ihrem Computer und arbeitet an einem Bericht über einen 76-jährigen Mann, der vor zwei Tagen seine Nachbarin mit einer rostigen Schrotflinte ins Nirwana befördert hat, weil sich ihre 8- und 6-jährigen Söhne nicht an die Nachmittagsruhe halten wollten. Der Rentner hat laut Ermittlungen mit dem Gewehrkolben gegen die Tür der Nachbarin gehämmert und der Frau den Kopf weggeblasen, kaum dass diese geöffnet hatte. Die Erinnerung an den Tatort sitzt Jens wie ein scharfkantiges Metallstück, das bei einer Operation vergessen wurde, im Schädel. Sobald er die Augen schließt, sieht er sich die Wohnung betreten, in der die Kriminaltechniker damit zugange sind, gräulich-rote Menschenmasse von den Wänden zu kratzen. Die Kinder des Opfers waren zum Glück nicht mehr zugegen, als Tina und er die Wohnung erreichten. Jens weiß, ihre Gegenwart wäre zu viel für ihn gewesen, er hätte es nicht ertragen, ihnen gegenüberzustehen.
Seltsam, dass ihn das Alter sensibler macht. Bisweilen spürt er eine emotionale Inkontinenz, die sich kaum mit den Erfordernissen seines Jobs in Einklang bringen lässt.
Neulich erst hat er sich ertappt, wie ihm beim Anblick der Nachrichten die Tränen kamen. Die Kamera zeigte apathische, im Schlamm sitzende Kinder an der mazedonisch-griechischen Grenze. Zerzauste Gestalten, die in ihrer Bewegungslosigkeit etwas Tierhaftes an sich hatten. Obwohl er die Fernbedienung in der Hand hielt und den Wunsch verspürte, sich abzuwenden und die Augen zu verschließen, war er unfähig umzuschalten. Der Anblick löste eine Art von Starre aus, ein schleichendes Unwohlsein, das die Bilder auf dem Bildschirm mit seiner Wirklichkeit überlagerte.
Wenn er weiter so emotional reagierte, würde er nicht alt werden in seinem Job. Wie aber soll man es bitteschön ertragen, wenn ein verrückter Drecksack von Rentner einer jungen Mutter den Kopf wegschießt, Kinder zu Waisen werden und die Welt insgesamt den Eindruck vermittelt, so kaputt zu sein, dass nur noch eine Generalüberholung Besserung verspräche?
Er weiß keine Antwort darauf, spürt nur, wie ihm die Müdigkeit zusetzt. Das Problem ist, dass er die Menschen nicht mehr versteht, dass sich ihm ihre Motive rational nicht erschließen und sie ihm wie ferngesteuerte Ungeheuer erscheinen, die nach anderen Gesetzen handeln, als die Menschlichkeit es gebie