: Anna Stothard
: Museum der Erinnerung
: Diogenes
: 9783257607932
: 2
: CHF 18.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Cathy ist neun, als sie Jack kennenlernt. Sie verbringen einen unbeschwerten Sommer an der englischen Küste miteinander. Cathy ist einundzwanzig, als sie aus ihrem Zuhause und vor einem Mann flieht, der Rache mit Liebe verwechselt. Cathy ist fast dreißig, als dieser Mann sie findet und ihre sorgsam aufbewahrten Erinnerungen für immer zu zerstören droht.

Anna Stothard, geboren 1983 in London, wuchs in Washington, Peking und New York auf. Nach dem Abschluss in Englischer Literatur in Oxford bekam sie ein Stipendium des American Film Institute in Los Angeles, wo sie zwei Jahre Drehbuch studierte. Anna Stothard lebt zurzeit in London.

1Der küssende Käfer


Die Vergangenheit ist nicht beständig. Der Vorgang des Erinnerns verändert uns, und jedes Leben kann innerhalb eines Tages neu geschrieben werden.

Am Morgen vor der Party war Cathy im Eingang des Berliner Museums für Naturkunde stehen geblieben und hatte das Skelett desBrachiosaurus, dessen schmaler Kopf auf dem langen Hals fast bis zum Glasdach des Lichthofes reichte, mit einem Lächeln begrüßt. Ihr Kleid hatte sie bereits aus der Reinigung geholt, es hing an ihrem Arbeitsplatz, doch die hochhackigen Schuhe trug sie in der Hand über den Marmorboden, vorbei an Fossilien und Eisbären.

Es würde heute schon wieder so schwül werden. Botaniker, Techniker und wissenschaftliche Mitarbeiter trotteten durch das Foyer des Museums, während ein Raumpfleger einen Glaskasten mit Drontenknochen abstaubte. Cathy bog im Lichthof links ab, die Stufen hinauf in die Dunkelheit der Ausstellung Kosmos& Sonnensystem: neun fußballgroße Planeten um eine Sonne herum, die irreführenderweise dieselbe Größe hatte wie die Planeten selbst. Ein Tag auf der Venus dauert243 Erdtage, stand auf einem Poster. Der Jupiter braucht für die Drehung um die eigene Achse nur9,8 Stunden. Vor allem auf Jugendliche übte diese Ausstellung einen besonderen Reiz aus. Vielleicht war es die Vorstellung, ihr gesamtes Universum sei einst ein einzelner, unvorstellbar heißer Punkt im Weltall gewesen, doch wahrscheinlich schlichen sie sich einfach nur gern ins Dunkle, um dort zu knutschen.

 

Cathy trug eine weiße Bluse, gut geschnittene Hosen und Ballerinas; ihr langes, rotbraunes Haar war ordentlich hinter beide Ohren gestrichen. Während sie die Wendeltreppe hoch und anschließend an den verschlossenen Türen verschiedener Labors und Sammlungen vorbeiging, drehte sie die zusammengerollte Schlange ihres Verlobungsringes an ihrem linken Ringfinger. Die Fenster des Lichthofes sowie die Türen standen in der ungewöhnlichen Sommerhitze offen, um den Geruch von Fell und Konservierungs-Chemikalien zu mindern. Sie schob sich in ihr Büro, einen langgezogenen Raum mit niedriger Decke, zugestellt mit Möbeln und einer sich ständig ändernden Ansammlung an Exponaten, für die unten kein Platz mehr war. Kaputte Bürostühle stapelten sich in derselben Ecke, wo auch eine ausgestopf‌te Eule hockte, auf einer der vielen grünen Vitrinen, die im Raum aufgestellt waren, lag ein Elefantenschädel. In den Vitrinen befand sich alles Mögliche – von einer Atlasmotte in der Grö