1. KAPITEL
Von der Veranda vor seinem Schlafzimmer aus hatte Theo Toyas einen ungehinderten Blick auf die Einfahrt, die zur prachtvollen Villa seines Großvaters führte. Es war halb sieben abends, und langsam verschwand die Hitze des Tages. Trotzdem war es immer noch viel zu warm, um etwas anderes als Shorts und T-Shirt zu tragen.
Seit einer halben Stunde lag er in einem gemütlichen Liegestuhl, trank hin und wieder einen Schluck seines Whiskeys und genoss die Aussicht. Und die Aussicht war wirklich grandios. Zu seiner Rechten lag ein erstaunlich großer Pool, von dem aus man einen direkten Blick auf Santorins berühmten, mittlerweile erloschenen Vulkan werfen konnte. Dahinter erstreckte sich ein meisterhaft angelegter Garten.
Er hatte vergessen, wie beruhigend und verschlafen dieser Ort sein konnte, denn in letzter Zeit hatte er die Villa nicht oft besucht. Auch die Aussicht zu genießen war keine Tätigkeit, der sich Theo oft hingab. Tatsächlich fehlte ihm dafür einfach die Zeit. Sein Leben fand zwischen London, Athen und New York statt, denn er trug die alleinige Verantwortung für die weltweit operierende Reederei, die sein Urgroßvater gegründet hatte. Sich ein paar Tage frei zunehmen, war fast undenkbar.
Aber die Feier zum achtzigsten Geburtstag seines Großvaters war natürlich eine Ausnahme. Die meisten Familienmitglieder lebten über ganz Griechenland verstreut und waren zu diesem Anlass mit Privatflugzeugen eingeflogen worden. Andere kamen aus weiter entfernten Ländern der Erde und würden eine ganze Woche in der Villa verbringen.
Theo selbst wollte nur drei Tage bleiben und anschließend nach London zurückkehren.
Ein Taxi hielt in der Einfahrt. Theo beobachtete, wie erst sein Bruder Michael, dann dessen Begleitung ausstieg.
Endlich würde er die mysteriöse Frau sehen, die so plötzlich im Leben seines Bruders aufgetaucht war. Seine Mutter und sein Großvater hatten auf diese Nachricht mit Erleichterung reagiert.
Theo war zwar auch Single, doch es war allgemein bekannt, dass er die Gesellschaft von Frauen genoss. Erst mit vierzig wolle er die richtige Frau, mit den richtigen Verbindungen, heiraten, hatte er seine Familie trocken informiert. Bis dahin sollten sich alle bitte aus seinem Privatleben heraushalten.
Aber bei Michael hatten die Dinge schon immer anders gelegen. Er war fünf Jahre jünger als Theo, war von zarterer Statur und neigte zu Krankheiten.
Mit dreizehn hatte Theo Griechenland verlassen und in England ein Internat besucht. Dieser Schritt in die Unabhängigkeit hatte seine Persönlichkeit geformt. Michael hingegen war zu Hause geblieben. Lina Toyas hatte es nicht ertragen können, ihren empfindlichen und sensiblen Sohn in die Fremde zu schicken. Immer war sie um ihn besonders besorgt gewesen. Und die Tatsache, dass er nie Mädchen mit nach Hause brachte, hatte die Familie zusätzlich belastet.
Das überraschende Erscheinen einer Freundin hatte Lina Tränen der Freude in die Augen getrieben.
Theo war nach dem Anruf seiner überglücklichen Mutter weniger begeistert.
Irgendetwas stimmte an der Geschichte nicht, und als erfahrener Geschäftsmann wusste er, dass in solchen Fällen Vorsicht geboten war.
Wie konnte es sein, dass Michael Abigail Clinton niemals zuvor erwähnt hatte? Wenn die beiden wirklich ein Paar waren, hätte er doch zumindest den Namen in einem der vielen Telefonate mit seiner Mutter genannt. Tatsächlich hatte er erst vor zwei Wochen aus heiterem Himmel verkündet, er sei mit einer Engländerin verlobt und würde sie zur Geburtstagsfeier nach Santorin mitbringen.
Taktvoll hatte Theo davon abgesehen, Lina in seine Bedenken einzuweihen. Stattdessen würde er die kommenden Tage sinnvoll nutzen. Er würde herausfinden, ob sein Verdacht zutraf, dass die Frau nur hinter dem Geld seines Bruders her war. Michael lebte zwar mittlerweile in Brighton, besaß zwei eigene Restaurants und einen Nachtclub, doch natürlich