1. KAPITEL
Als Sergio Di Vittorio das Kasino betrat, verstummten die Gespräche zwar nicht, doch angespannte Erwartung erfüllte den Raum. Zwei große, dunkel gekleidete Gestalten folgten dem ehrwürdigen Aristokraten in angemessen respektvollem Abstand.
Raoul, der an einem der Marmorpfeiler lehnte, beobachtete aufmerksam, wie sein Großvater gemessenen Schrittes den Raum durchmaß. Trotzdem behielt er den Mann am Roulettetisch weiterhin im Auge, der wie besessen war und immer mehr Geld verspielte.
Ein selbstironisches Lächeln umspielte seine Lippen, weil er sich automatisch straffte, als sein Großvater nun näherkam. Alte Gewohnheiten lassen sich eben nur schwer abstellen, dachte er. Und sein Großvater achtete streng auf gute Manieren.
Wobei das Oberhaupt des Familienunternehmens bei vielen Dingen rigide Ansichten vertrat. Zum Beispiel beim Glücksspiel. Was eigentlich nicht überraschte, da sein einziger Sohn, Raouls und Jamies Vater, sich freiwillig das Leben genommen hatte, als das ganze Ausmaß seiner Spielschulden öffentlich geworden war.
Sergio hätte den Skandal beilegen und die Schulden seines Sohnes begleichen können – denn die infrage kommende Summe war für ihn kaum der Rede wert. Stattdessen hatte er seinem Sohn erklärt, endlich Verantwortung zu zeigen und sich als Mann zu erweisen.
Ob sein Großvater diese Entscheidung bereute?
Und sich die Schuld gab?
Raoul bezweifelte es. Sergios Glaube an sich selbst erlaubte keine Zweifel. Und Raoul hatte seine Wut damals für seinen Vater reserviert, der sich für den einfachen Weg entschieden und sie allein gelassen hatte. Dieses Ausmaß an selbstzerstörerischer Verzweiflung war für ihn als Kind schwer zu verstehen gewesen, genauso wie die Tatsache, dass Abhängige grundsätzlich selbstsüchtig waren. Auch sein Verständnis später als Erwachsener konnte ihm nicht die Verbitterung nehmen oder die Erinnerungen an ein einsames Kind auslöschen. Allerdings war Jamie immer für ihn da gewesen, sein älterer Bruder, der seine Kämpfe ausgefochten hatte, bis Raoul groß und stark genug gewesen war, sich selbst zu behaupten.
Raoul erinnerte sich an die warme Hand seines Bruders, die sich um seine schloss, als sein Großvater ihnen die Nachricht überbrachte. Der Augenblick hatte sich in seinem Gedächtnis eingebrannt: Die einzelne Träne, die langsam über das Gesicht seines älteren Bruders rollte. Das gleichmäßige Ticken der Wanduhr. Die tiefe Stimme des Großvaters, der erklärte, dass sie von jetzt an bei ihm leben würden.
Verwirrung und Angst krampften damals seinen Magen zusammen. Ein Schluchzen steckte in seiner Kehle, das er verzweifelt zurückhielt, um seinem Großvater zu gefallen. Seine Tränen hatte er sich aufgespart und später in sein Kissen geweint.
Entschlossen verdrängte Raoul die Erinnerungen und hob seinen Brandy in einem stummen Gruß. Im Laufe der Jahre hatte der Alkohol das Kis