DER SPROSS EINES LANDES AUF DER SUCHE NACH SICH SELBST
»Ich gehöre dem Geschlecht der Drachen an, du stammst aus dem Geschlecht der Unsterblichen. Wasser und Feuer sind unvereinbar: es fällt uns schwer, in Einklang miteinander zu leben. Wir müssen uns nun trennen.« Mit diesen Worten verabschiedete der legendäre König Lac Long Quan, Beschützer und Volksheld Vietnams, seine Ehefrau, die schöne Unsterbliche Au Co. Die Ursprünge des Landes verbergen sich in dieser uralten Mär, die das Innerste der Erde mit den tiefsten Tiefen des Wassers vermischt. Die Vietnamesen glauben, sie seien aus der Vereinigung von Erde und Wasser geboren, dank dieses dem Wasser entstiegenen Mannes mit ungewöhnlichen Kräften aus dem Geschlecht der Drachen und der schönen Bergfee Au Co.
Der Legende zufolge entstanden die Landschaften Vietnams, wie zum Beispiel die Halong-Bucht, durch die Schlachten schrecklicher Ungeheuer gegen Wesen, die halb Gott, halb Mensch waren. In einem dieser Kämpfe rettete der König die schöne Bergfee. Sie hatten zusammen einhundert Kinder. Die Vietnamesen sollen die Nachfahren dieser gemeinsamen Eltern sein. In ihren Adern fließt ein wenig Blut des Drachen und der schönen Fee. Die eine Hälfte der Kinder sei unter dem Schutz ihrer Mutter in die Berge gegangen, während die andere Hälfte mit dem Vater in die Ebenen Richtung Meer zog, um die Dynastie der Hung zu begründen. Die Geschichte offenbart, dass die Bevölkerung, die sich zuerst im Bergvorland niederließ, das Delta des Roten Flusses erst später erobert hat, nämlich als sie groß genug geworden war, um die Deiche entlang der Flüsse und der Küste zu errichten.
Unter dem Zeichen des Feuer-Tigers
11. Oktober 1926. Es ist ein Jahr unter dem Einfluss des Feuer-Tigers. Im Herzen Vietnams in einem Dorf namens Qu’ng Ngai in der Provinz Thua Thien-Hue erblickt ein Kind das Licht der Welt in einer Familie einfacher Dörfler. Sie entstammt der Hauptethnie der Viet, deren Wesen als feinsinnig, geschickt und ausdauernd gilt. Es wird auf den Namen Nguyen Xuan Bao getauft. In dieser trockenen Jahreszeit am Anfang des tropischen Winters herrscht zunehmender Mond. Dies ist ein Glück verheißendes Vorzeichen, das auf ein wohlwollendes und optimistisches Temperament schließen lässt.
Bevor er geboren wurde, hatte seine Mutter eine Fehlgeburt gehabt. Als erster Hinweis auf die künftige Weisheit des Jungen löste dieses Ereignis tiefgründige Fragen bei ihm aus.
»Als ich jung war, fragte ich mich oft: War das mein Bruder, oder war ich es? Wer hat zu jener Zeit versucht, sich zu manifestieren? Dass das Kind verloren wurde, bedeutet, dass die Bedingungen für seine Manifestation nicht gegeben waren, und so hat das Kind sich zurückgezogen, um auf bessere Voraussetzungen zu warten. […] War dies mein Bruder, den meine Mutter bei ihrer ersten Schwangerschaft verloren hatte? Oder war es vielleicht ich, der sich anschickte zu kommen, aber stattdessen sagte ›Der Augenblick ist noch nicht gekommen‹ und sich wieder zurückzog?«7
Die Weisheit, die Thich Nhat Hanh Jahre später lehrte und der zufolge jedes Ereignis sich zu seiner ihm eigenen Zeit nur dann manifestiert, wenn alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, ist das Gesetz der Natur selbst.
Das Gesicht des Kindes wird als ernst und gelassen beschrieben. Es wächst im Schutz einer intakten und üppigen Natur auf. Im kollektiven Bewusstsein der Bewohner besitzen die Natur, die Bäume, die Vegetation und die Elemente eine eigene Sensibilitä