: Ellen Sandberg
: Die Vergessenen Roman
: Penguin Verlag
: 9783641202507
: 1
: CHF 8.80
:
: Spannung
: German
: 528
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die einen wollen vergessen. Die anderen können es nicht.
1944. Kathrin Mändler tritt eine Stelle als Krankenschwester an und meint, endlich ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Als die junge Frau kurz darauf dem charismatischen Arzt Karl Landmann begegnet, fühlt sie sich unweigerlich zu ihm hingezogen. Zu spät merkt sie, dass Landmanns Arbeit das Leben vieler Menschen bedroht - auch ihr eigenes.

2013. In München lebt ein Mann für besondere Aufträge, Manolis Lefteris. Als er geheimnisvolle Akten aufspüren soll, die sich im Besitz einer alten Dame befinden, hält er das für reine Routine. Er ahnt nicht, dass er im Begriff ist, ein Verbrechen aufzudecken, das Generationen überdauert hat ...

Ellen Sandberg arbeitete zunächst in der Werbebranche, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete - mit riesigem Erfolg: Ihre psychologischen Spannungs- und Familienromane, die immer monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehen und denen immer ein wichtiges Thema unserer deutschen Vergangenheit zugrunde liegt, bewegen und begeistern zahllose Leserinnen und Leser - wie zuletzt »Das Geheimnis«, »Das Unrecht« und »Keine Reue«. 2022 wurde ihr der Verfassungsorden des Freistaats Bayern verliehen. Unter ihrem bürgerlichen Namen Inge Löhnig veröffentlicht sie erfolgreiche Kriminalromane.

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Es war ein warmer Junitag in München, als Manolis Lefteris nach dem Schlüssel für den Aston Martin griff und die Verantwortung für das Autohaus seinem Geschäftsführer überließ, um sich auf dem Friedhof mit seiner Schwester Christina am Grab der Eltern zu treffen. Zehn Jahre waren es nun schon, und er fragte sich, ob es ihm jemals gelingen würde, seinen Frieden mit Babás zu machen.

Das Leben hat einen Rückspiegel, und in dem sieht man immer die Eltern. Dieser Satz, den er irgendwo einmal gelesen hatte, ging ihm durch den Kopf, als er in den Wagen stieg. Wie wahr! Er war jetzt Mitte vierzig, und nach wie vor gab es dieses Loch in ihm, diese unausgefüllte Nische, etwas, das auf ein Wort der Anerkennung wartete, auf ein »Gut gemacht!«.

Während er durch den dichten Innenstadtverkehr fuhr, zog von Westen eine Wolkenfront heran, die das flirrende Mittagslicht vertrieb, das seit dem Morgen wie eine Verheißung über der Stadt gelegen hatte. Eine Stunde noch oder zwei, dann würde es regnen. So wie vor zehn Jahren, als zwei Polizisten vor seiner Wohnungstür gestanden hatten und er das Klingeln zunächst nicht gehört hatte, weil ein Wolkenbruch niederging und der Regen aufs Dach und gegen die Scheiben prasselte, als forderte die Natur selbst Einlass.

Manolis parkte beim Blumenladen am Friedhof und stutzte, als er das neue Schild sah. Aus derFloristeria warAnna Blume geworden. Unwillkürlich lächelte er. Anna Blume. Etwa nach dem Gedicht von Kurt Schwitters, das er in der Oberstufe auswendig gelernt hatte, weil es so herrlich absurd war? Oder hieß die Floristin am Ende tatsächlich so?

Eine Glocke bimmelte, als er eintrat. Die Luft war schwer vom Duft der Blumen, die in Eimern, Kübeln und Schalen auf schrundigen Tischen und Stellagen standen. Von irgendwoher vernahm er eine Stimme. »Komme gleich.«

Kurz darauf wurde die Tür des Nebenraums aufgestoßen, und eine Frau trat ein, in den Armen einen Korb voller burgunderroter Dahlien. Trotz ihrer schlanken Figur wirkte sie kräftig und robust. Das Grün ihrer Augen war bemerkenswert, außerdem trug sie tatsächlich ein rotes Kleid, wie in dem Gedicht. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, sie darauf anzusprechen, ließ es dann aber bleiben.

Wie jedes Jahr kaufte er einen Strauß Sommerblumen und achtete darauf, dass auch Löwenmäulchen dabei waren, die seine Mutter so sehr gemocht hatte.

Er zahlte, überquerte die Straße und betrat den Friedhof. Der Lärm der Stadt blieb jenseits der Mauern. Graues Licht sickerte vom Himmel, legte sich wie ein Schleier über Hecken, Wege und Gräber, und in ihm stieg wieder einmal die Frage auf, warum sein Vater das getan hatte. Er würde es nie verstehen, obwohl er die Gründe kannte. Wie hatte Babás nur auf Gerechtigkeit hoffen können? Sie war nicht mehr als eine Illusion, ein selten erreichtes Ideal.

Das hatte er schon als Junge erkannt, kurz nach dem Wechsel aufs Gymnasium, als die anderen ihn aufzogen wegen seines Gastarbeitervaters und seiner Hippiemutter, als er sich gedemütigt fühlte und beschämt, weil alles an ihm falsch zu sein schien, als sie ihn mit Worten schlugen und er sich m