: Jean-Christophe Rufin
: Der Schatzmeister des Königs Roman
: C. Bertelsmann
: 9783641198336
: 1
: CHF 10.80
:
: Erzählende Literatur
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Visionär des Welthandels und sein Traum vom Wohlstand für die ganze Menschheit
Als Sohn eines bescheidenen Kürschners im 15. Jahrhundert in Bourges geboren, wird Jacques C?ur zum reichsten Mann Frankreichs. Seinem finanziellen und kaufmännischen Geschick ist es zu verdanken, dass Karl VII. den Hundertjährigen Krieg beenden kann. Er verändert die Sicht der alten Welt auf den Orient. Er geht bei Königen und dem Papst ein und aus, und bereist alle Länder der im Spätmittelalter bekannten Welt. Er erlebt Niederlagen und Demütigungen, bevor er Freiheit und Wohlstand erreicht. Und von allen Frauen, denen er begegnet, ist es Agnès Sorel, die erste offizielle königliche Maitresse in der Geschichte Frankreichs, mit der ihn eine tiefe Liebe verbindet. Elegant und sprachmächtig erzählt Rufin von Jacques C?ur, dem Visionär weltumspannenden Handels, der den Traum von einer noch unverdorbenen Globalisierung als Chance für die ganze Menschheit träumte und verwirklichte.

Jean-Christophe Rufin, geboren 1952, ist Arzt und Schriftsteller, Mitbegründer und ehemaliger Vizepräsident von Ärzte ohne Grenzen und war Staatssekretär im französischen Verteidigungsministerium und beim Roten Kreuz. 2007 wurde er französischer Botschafter im Senegal. Er schrieb zahlreiche sehr erfolgreiche, preisgekrönte Romane. Für Rouge Brésil erhielt er 2001 den Prix Goncourt. Seit 2008 ist er Mitglied der Académie francaise.

Als ich Elvira vorgestern in die Stadt begleitet habe, wäre ich um ein Haar entdeckt worden. Der Mann, der nach mir sucht, war in ein lebhaftes Gespräch mit zwei anderen verwickelt, die ebenfalls nach Fremden aussahen. An die Mauer der Hafenmeisterei gelehnt, beobachtete ich sie aus einiger Entfernung. Plötzlich sah ich, wie sie auf mich zukamen. Ich war für einen Moment vom Manöver eines Schiffs im Hafenbecken abgelenkt gewesen, und als ich bemerkte, dass sie sich mir näherten, hatten sie mich schon fast erreicht. Mir war vorher gar nicht aufgefallen, dass um diese Mittagsstunde nur noch wenige Menschen auf den Straßen waren. Die Fremden benötigten sicherlich eine Auskunft. Sie wollten mich ansprechen, weil ich ihnen am nächsten stand und nicht wie die meisten anderen zum Mittagessen eilte. Zum Glück war mein Gesicht unter meinem Hut verborgen, und ich stand noch im Schatten der Mauer, während sie beim Gehen von der Sonne geblendet wurden. Ich glaube nicht, dass sie mich erkannt haben. Als ich die Flucht ergriff, lachten sie laut los und versuchten nicht, mich einzuholen. Wahrscheinlich hielten sie mich für einen armen Bauern, den ihr reicher Kaufmannsstaat erschreckt hatte.

Dennoch wäre meine Maskerade beinahe durchschaut worden und sie hätten mich gefasst. Nach diesem Schreck habe ich beschlossen, mich vorerst nicht mehr in die Stadt zu wagen. Ich will versuchen, in Vergessenheit zu geraten. Und so bleibe ich im Haus und beschränke meine Wanderungen auf die nähere Umgebung.

Morgens liegt unsere Terrasse noch im Schatten, und die nächtliche Kühle macht es unmöglich, dort zu sitzen, ohne sich zu bewegen. In dieser Zeit gehe ich auf dem Weg spazieren, der zum Meer hinabführt. Die Natur erwacht hier nicht bei Tagesanbruch. Erst gegen Abend erstrahlen die Farben in all ihrer Pracht, und die Luft ist von sämtlichen Düften erfüllt. Sobald die Sonne aufgeht, scheinen sich die Pflanzen zusammenzukauern, blass und reglos wappnen sie sich gegen den Ansturm der Hitze, der bis zum Einbruch der Dämmerung anhält. Frühmorgens wird der indiskrete Beobachter Zeuge der Vorbereitungen zu dieser Nachtwache. Das Meer selbst liegt zu dieser Stunde beinahe unbewegt da, und das Plätschern der sanften Wellen an den scharfkantigen Felsen erzeugt ein gleichmäßiges, beruhigendes Raunen wie ein Schlaflied. Ich nutze diese friedlichen Stunden, um die Erinnerungen an die Vergangenheit wieder aufsteigen zu lassen. Wenn sich so viele davon in mir angesammelt haben, dass ich meine Umgebung nicht länger wahrnehme, gehe ich langsam durch die Lorbeerbüsche und Steineichen zurück und setze mich unter die mittlerweile erwärmte Laube, um zu schreiben.

Solche Häuser wie das unsere gibt es viele auf der Insel, und ich hoffe, dass meine Verfolger es leid werden, sie alle abzusuchen, bevor sie mich gefunden haben. Ich habe Elvira mit einem kurzen Brief zu dem Herbergswirt geschickt, der mir dieses Versteck besorgt hat, und ihn gebeten, das Gerücht zu verbreiten, ich sei an Bord eines Schiffs nach Rhodos oder Italien gegangen. Zusammen mit der Nachricht habe ich ihm eine Geldsumme aushändigen lassen, die ihn davon überzeugt haben dürfte, meiner Bitte nachzukommen.

Auch wenn es nicht den geringsten Anlass dafür gibt, bin ich zuversichtlich gestimmt. Ich werde schon so lange gejagt, dass ich die Methoden meiner Verfolger mittlerweile recht gut kenne. Ohne nachzudenken, stürzen sie sich auf jeden Hinweis, den man ihnen vor die Füße wirft. Man braucht nur abzuwarten.

Trotzdem verändert sich dadurch die Natur meines Aufenthalts hier. Als ich zu Elvira kam, glaubte ich, nur ein paar Tage zu bleiben. Doch jetzt muss ich eher mit Wochen,