Harald Banzhaf
Trauma als Schlüssel zum Verständnis körperlichen Leidens
Polytrauma und psychisches Trauma – medizinische und psychologische Wirklichkeiten
Wenn sie das Wort Trauma hören, assoziieren Menschen höchst unterschiedliche Phänomene. Als Arzt mit notfallmedizinischer Weiterbildung dachte ich lange Zeit unmittelbar und ausschließlich an »Polytrauma« – ein Begriff, der sowohl im Rettungsdienst als auch in der Notfallambulanz eines Krankenhauses reflexartig höchste Alarmbereitschaft auslöst. Allein dieses Wort genügte, um während meiner aktiven Zeit als Notarzt meine Stresshormone maximal zu stimulieren. Seltsamerweise war ich in diesen Momenten auch für die mich begleitenden Rettungsassistenten emotional auffällig gelassen angesichts der äußeren Situation und fühlte mich richtig lebendig.
Menschen, die aufgrund eines Verkehrsunfalls oder Sturzes aus großer Höhe an unterschiedlichen Organsystemen mehr oder minder schwer verletzt wurden, bezeichnet man in der Medizin als polytraumatisiert. Hierbei handelt es sich um akute Zustände vor allem organischer Dysfunktion, die einer raschen und gezielten Intervention bedürfen. Betroffene befinden sich dadurch in einer akut lebensbedrohlichen Situation, die mit der exzessiven Ausschüttung von Stresshormonen und Entzündungsmediatoren verbunden sind.
Im psychologischen Kontext meint Trauma etwas gänzlich anderes. Hier geht es vor allem um psychische Folgezustände nach einem überstandenen überwältigenden Akutereignis, verbunden mit Todesangst und Kontrollverlust, welches die Psyche nicht vollständig verarbeiten konnte und das Wunden hinterlassen hat, die zu einer tief greifenden Störung geistiger und körperlicher Integrität führen. Psychotrauma meint auch die lang andauernde Bedrohung durch äußere Gefahren, zum Beispiel durch eine gewalttätige Person, und deren kurz- wie langfristige körperliche und psychische Folgen. Dies gilt vor allem für Kinder, die ihre gesamte Kindheit hindurch traumatisierten Eltern schutzlos ausgeliefert sind.
Je nachdem, worauf der medizinische oder psychologische Fokus gerichtet wird, sind die Wahrnehmungen sehr unterschiedlicher Natur. Im einen Fall steht der Organismus mit seinen gestörten physiologischen Funktionen im Vordergrund. Im anderen Fall richtet sich die Aufmerksamkeit überwiegend auf psychische, emotionale und mentale Aspekte des Betroffenen. Das Dilemma ist, dass in einem Fall seelenlose Körper, im anderen körperlose Seelen gesehen und dementsprechend »behandelt« werden. Obwohl fast alle jüngeren wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Schluss kommen, dass Körper und Psyche nicht voneinander zu trennen sind, hängen wir in der westlichen Medizintradition immer noch einem überholten Weltbild an und konstruieren unsere Wirklichkeit auf diese vereinfachte Weise (Maté 2003). Dies bringt für die Alltagspraxis zwar eine gewisse Erleichterung. Wir verbauen uns dadurch aber den Weg zu einem ganzheitlichen Verständnis der Welt und des Lebens. Wir schneiden uns von einem Geschehen ab, das wir Gesundheit oder Heilung nennen könnten. Denn ein Prozess der Heilung kann nur gelingen, wenn alle Teile eines Systems di