1
Ricco Ferraro wollte mit den Fäusten auf irgendetwas einprügeln. Heftig. Nein, ermusste auf irgendetwas einprügeln. Das Geräusch reißenden Fleisches und brechender Knochen unter seinen Knöcheln hätte in diesem Augenblick etwas sehr Befriedigendes gehabt. Jep, das war genau das, was er brauchte, wenn sein Bruder nicht langsam seine verdammte Klappe hielt. Sie befanden sich in einem Krankenhaus, umgeben von jeder Menge Ärzten und Krankenschwestern. Wenn er jetzt tatsächlich in die Stadt fuhr, um seinen Bedürfnissen nachzugehen, würde Stefano nicht allzu lange leiden müssen.
»Ricco.« Da war sie wieder. Diese tiefe, nervtötende Großer-Bruder-Stimme, mit der Stefano Ricco das Gefühl gab, noch verrückter zu sein, als er sich sowieso schon fühlte. »Hörst du mir überhaupt zu? Das hier muss aufhören. Das nächste Mal kommst du vielleicht nicht durch.«
Stefanos Vortrag dauerte jetzt bereits zehn Minuten; Ricco war sich ziemlich sicher, dass niemand so lange zuhören konnte – schon gar nicht er selbst. Es fehlte ihm ganz einfach an Geduld. Als wüsste er nicht selbst verdammt gut, wie knapp er dem Tod entkommen war. Sie hatten jeden Tropfen Blut in seinem Körper ausgetauscht – und das gleich zweimal. Seit Wochen lag er in diesem bescheuerten Krankenhaus.
Sein Wagen war mit über hundert Meilen pro Stunde gegen die Wand geknallt, doch er wusste, dass er nicht mit Absicht dagegengefahren war. Irgendwas war zerbrochen, und Sekundenbruchteile später hatten sich Dutzende scharfe Metallsplitter wie Schrapnelle in sein Fleisch gebohrt. Er hatte sie gespürt, spürte sie noch immer. Jeder Muskel und jeder Knochen in seinem Körper tat verflucht weh.
»Sobald du aufhörst, Schwachsinn zu reden, höre ich dir zu, Stefano«, fuhr Ricco ihn an, während er sich das Hemd zuknöpfte. Keine einfache Übung, wenn jede noch so kleine Bewegung schreckliche Schmerzen auslöste. Aber heute würde ihn nichts mehr davon abhalten, dieses Krankenhaus zu verlassen – ob der Oberarzt seinen Entlassungsbescheid nun unterschrieb oder nicht. Er hatte genug von alldem hier und von den ganzen Menschen um sich herum. Speziell von seinem älteren Bruder.
Er drehte sich zu ihnen herum. Vier Brüder und eine Schwester starrten ihn mit besorgter, verbissener Miene an. Er versuchte, sich stattdessen auf Stefanos Frau – Francesca – zu konzentrieren und auf das Mitgefühl, das er in ihren Augen las. Sie hatte Stefano in den vergangenen Minuten mehrfach den Ellbogen in die Rippen gestoßen, um ihn dazu zu bringen, die Klappe zu halten. Zweimal hatte es funktioniert, allerdings immer nur für ein paar Sekunden.
»Ich werde es noch ein einziges Mal sagen und dann nie wieder. Ihr müsst mir ja nicht glauben.« Beim Sprechen hatte er Francesca angesehen, denn überraschenderweise war sie die Einzige, die ihm glaubte. Dabei hätten sie es alle tun sollen; immerhin konnten sie hören, wenn jemand log. Beim Gedanken daran hielt er einen Moment inne. Auch er selbst war in der Lage, eine Lüge herauszuhören. Wenn niemand ihm glaubte, musste es daran liegen, dass er sie angelogen hatte. Sie und sich selbst.
Ricco wandte sich ab. Selbst diese kleine Bewegung bereitete ihm Schmerzen. Sein Körper schien gegen alles zu protestieren, was er tat. »War