: Pablo Hagemeyer
: Fantasiereisen Aufbau, Dramaturgie und effektiver Einsatz in der Psychotherapie
: Junfermann
: 9783955715960
: 1
: CHF 29.20
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Fantasiereisen - mehr als nur Geschichten Fantasiereisen, die analog zu Campbells Heldenreisen aufgebaut sind, kommen im psychotherapeutischen Kontext dem Bedürfnis der Klienten nach Sicherheit und Orientierung am besten nach und wirken unterstützend und heilend. Pablo Hagemeyer erläutert in diesem Buch anhand vielfältiger Beispiele die Einsatzmöglichkeiten von Fantasiereisen und vermittelt Schritt für Schritt, wie Psychotherapeuten schulenübergreifend und individuell Texte nach ihrem eigenen Bedarf gestalten und problemspezifisch einsetzen können. Die Hinführung zu einer systematisierten therapeutischen Erzählstruktur, orientiert an definierten innerpsychischen Konflikten, wie sie die OPD erfasst hat, bietet vielfältige Anhaltspunkte für die inhaltliche Gestaltung. Eine Bereicherung für jedes therapeutische Setting! 'Dies ist ein außergewöhnliches Buch.' Prof. Dr. Dirk Revenstorf

Pablo Hagemeyer ist ärztlicher Psychotherapeut in eigener Praxis in Weilheim. Er hat die Texte zur Hörfreund-CD-Reihe entworfen, die verschiedene hypnotherapeutische Fantasiereisen zur Entspannung umfasst, gelesen von Schauspieler Hans Sigl (<a href="http://www.hoerfre nd.com">www.hoerfreun .com</a>).

1. Der psychotherapeutische Prozess als Heldenreise


„Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt das Leben Reisen ist.“

– Jean Paul (1763–1825)

1.1 Die Entdeckung des Monomythos


Die Tiefenpsychologie war für Joseph Campbell, dem amerikanischen Mythenforscher und Begründer der „Heldenreise“ (1949), der einzige Weg, die Geschichten des Menschen nach Gemeinsamkeiten aufzuschlüsseln. Er erkannte in seiner Arbeit um das Geschichtenerzählen viele Analogien zwischen Mythen, Legenden, Märchen, biblischen und vorbiblischen Geschichten, die bis heute die gesetzmäßige Struktur einer Geschichte ausmachen. Selbst das Storytelling in Hollywood lebt von Joseph Campbells Regelwerk. Bis heute. Nur mit diesem Regelwerk scheint eine Story wirklich zu funktionieren. Campbell beschrieb mit dem Konzept des „Monomythos“ (2011) die wahrhaftige Erzählstruktur, die in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder von Menschen neu erzählt wird. Eine universelle Lehre gewissermaßen, unbewusst in uns Menschen angelegt. Menschliche Geschichten sind demnach einerseits tief verankert in dieser unbewussten Struktur und projizieren andererseits diese Struktur entsprechend auf Leinwände und in Bücher, wo sie als gute Storys von anderen Menschen wiedererkannt werden. Diese Doppelung des inneren Bedürfnisses nach einer guten Geschichte und danach, eine gute Story erzählen zu können, ist Teil unseres Menschseins, Teil unserer menschlichen Natur. Denn die Geschichten transportieren profunde menschliche Wahrheiten und Erkenntnisse. Möglicherweise transportieren sie sogar am besten Emotionen wie Tatsachen eines Geschehens gleichermaßen. Und damit sind wir direkt im psychotherapeutischen Vorgang angekommen.

Wenn wir eine Geschichte hören, wenn wir eine Geschichte erzählen, dann nutzen wir die Symbole und die Erzähltechnik, wie sie einst Joseph Campbell benannte. An diesen Symbolen hängen Emotionen und Fakten zugleich. Ist die Story gut, werden wir Zuhörer oder Leser haben. Ist die Story schlecht, kommt es nicht zur Doppelung eigener Erfahrungen im anderen durch die Geschichte. Dann nimmt das Interesse an der Story rasch ab. Es kommt zu Phänomenen der Erschöpfung, Langeweile und Ablenkbarkeit. Vergleichbar mit dem Empfinden des Therapeuten bzw. des Klienten während einer zähen Psychotherapie. Sie kann sich als erschöpfend und ermüdend darstellen, vielleicht weil die Story dazu ebenfalls zu eindimensional ist, zensiert durch einen mächtigen bewussten oder unbewussten Zensor: Der Klient teilt etwas Entscheidendes nicht mit, der Kern des Problems, das ihn in die Therapie geführt hat, ist (noch) nicht erkannt.

Der Ansatz Campbells kann im Umkehrschluss in seiner Wirkung auf eine solch stockende Psychotherapie tatsächlich Wunder wirken. Joseph Campbell wollte ja mithilfe der Tiefenpsychologie und der Erkenntnisse um Archetypen (definierte symbolische Menschengestalten, die für bestimmte emotionale Botschaften und Handlungen stehen) die Gesetzmäßigkeiten der Geschichten aufschlüsseln. Ebenso hilfreich ist es, diese durch Campbell benannten Strukturen auf die psychotherapeutische Begegnung zu übertragen. Dazu muss nicht unbedingt sogleich Imagination oder eine Fantasiereise inszeniert werden. Es reicht, sich als Therapeut zu fragen: „An welchem Punkt stehen wir eigentlich gerade in der Heldenreise des Klienten?“

Um eine klarere Vorstellung davon zu bekommen, wie so etwas aussehen könnte, möchte ich die typischen Wegmarken der Heldenreise im Folgenden vorstellen.

1.2 Die Heldenreise als Zyklus


Die Heldenreise stellt sich in einem Zyklus dar. Start und Ende der Reise sind nahezu derselbe Ort (s. Abb. 1.1). Die Imagination kann an einem für den Klienten vertrauten oder auch an einem magischen Ort beginnen und enden.

Der Zyklus ist in zwei Hälften aufgeteilt. Der obere Teil (in der Abbildung) entspricht der bekannten Welt, analog zur bewussten Welt des Klienten. Der untere Teil repräsentiert die unbekannte Welt, das Unbewusste, das Verdrängte, das Vergessene. Es ist das Fremde oder das Ferne und Unbekannte. Beide Teile repräsentieren jedoch auf einer Metaebene das vollständige Selbst des Reisenden mit seinen bekannten und unbekannten Anteilen. Der Reisende weiß nicht, dass die unbekannte Welt auch ein Teil von ihm selbst ist. Daher erscheint ihm diese Unternehmung geheimnisvoll, ist vielleicht angstbesetzt oder löst anfangs Zweifel und andere irritierende Emotionen aus. Im psychotherapeutischen Setting symbolisiert dieser Zyklus die Reise zum eigenen Selbst. Vermutlich eines der größten menschlichen Abenteuer.

Abbildung 1.1: Die Heldenreise als Zyklus

Die Grenzen zur Unterwelt – in sie hinein und aus ihr wieder heraus – liegen an den Schnittpunkten beider Welten nach dem ersten Viertel der Reise (x) und vor dem letzten Viertel der Reise (z). Diese Schnittstellen sind Schwellen zur oder Orte der Veränderung. Auf der Hälfte der Reise liegt der Tiefpunkt (y), eine ganz besondere Schnittstelle genau gegenüber dem Start- und Endpunkt. Hier trifft man auf den Ort der Verwandlung des Selbst (Midpoint).

Die Reise beginnt gegen den Uhrzeigersinn. Campbell hat dies bewusst so gewählt, und zwar aus einem wichtigen Grund: Der Held beginnt seine Reise gegen Widerstände. Links herum die Reise zu starten bedeutet, von Anfang an inneren und äußeren Widerständen zu begegnen und sie zu überwinden. Die eigene Verweigerung, die eigenen Ängste, die eigenen Bedenken inklusive. Bereits an diesem Punkt treten sehr deutlich die Konflikte zutage, die im Helden schlummern und die in der Welt des Unbewussten verortet sind. Befürchtungen können erahnt, erstmals spürbar werden, ebenso wie eigene Bedürfnisse. In der Realität bezieht sich dies auf den Erstkontakt zu Beginn einer Psychotherapie. Als Therapeuten wissen wir um das normale anfängliche Zögern und die aufschiebenden Verhaltensweisen unserer Klienten, die im Denken und Fühlen auch Vermeidungsstrategien entwickeln, noch bevor die Reise richtig losgeht. Zu Beginn also überwindet der Klient in seiner Funktion als „Held“ seiner eigenen (Psychotherapie-)Reise diesen ersten Startpunkt. Nach und nach fasst er Vertrauen und ist bereit, sich mehr und mehr zu öffnen, die Reise in die unbekannte Welt also fortzusetzen.

Schon jetzt wird klar: Die Orte „bekannte Welt“ und „unbekannte Welt“ sind ebenso symbolisch wie konkret. Es sind stoffliche, reale äußere Welten, aber auch innere, spirituelle, fantastische und imaginierte Welten. Es sind die Welten des Helden (der Fantasiereise), aber auch die Welten des Lesers und Zuhörers – also die unseres Klienten. Es kommt zu Doppelungen eigener und fantastischer Welten.

Die erste Schwelle

An der ersten Schwelle zur unbekannten Welt (x) entscheidet sich der Held, die Reise nun anzutreten und sie aus eigener Kraft zu bestreiten. Dafür muss er seine Komfortzone, also die ihm bekannte Welt verlassen. Dieses Eintreten in eine neue, fremde Welt wird oft durch einen Moment der Erschütterung angestoßen: Der Held, unser Klient, hat eine erste Erkenntnis, die den Anfang der notwendigen Veränderung markiert. Er spürt, dass es Zeit ist, zu handeln. Dieser „Weckruf“ kann ein traumatisches Ereignis sein, ein großer Schreck, ein mentaler Schubs. Es ist das Leiden unseres Helden, das ihn motiviert. Viele Klienten leiden an einer Störung, die sie nicht begreifen. Das Motiv ist weniger die Neugierde oder die Lust auf ein Abenteuer, sondern der erhebliche Leidensdruck. Sie wollen etwas tun und ersuchen durch eine Gesprächstherapie um Hilfe.

Es kann auch sein, dass der Ruf (zunächst) nicht gehört wird, vielleicht weil der Held so depressiv, abgestumpft, abgelenkt, verblendet, verwirrt, erschöpft oder ratlos ist, dass die Chance auf eine Therapie und einen Veränderungsprozess nicht wahrgenommen wird. Also schickt ihm das Leben immer mehr Weckrufe, bis er es versteht. Der auserwählte Held wird beispi

Cover1
Inhalt8
Vorwort10
Einleitung12
Teil I – Fantasiereise im psychotherapeutischen Setting18
1. Der psychotherapeutische Prozess als Heldenreise20
1.1 Die Entdeckung des Monomythos20
1.2 Die Heldenreise als Zyklus21
1.3 Analogien zur Psychotherapie36
1.4 Hindernisse sind eine Chance45
2. Gebrauchsanleitung für die Seele: Wie wirkt eine Fantasiereise?52
2.1 Emotionen und Bilder52
2.2 Inhalte54
2.3 Funktion60
2.4 Das Spiel mit der Struktur65
2.5 Abgrenzung und Chance71
3. Chaos mit System – Was passiert bei Fantasiereisen im Gehirn?76
3.1 Offene und geschlossene neuronale Systeme76
3.2 Top-down- und Bottom-up-Prozesse82
3.3 Suggerierte Sinneswahrnehmungen nutzen84
Fantasiereisen in der Praxis94
4.1 Indikation: Für wen sind Fantasiereisen geeignet?97
4.2 Kontraindikation: Für wen sind Fantasiereisen nicht oder nur bedingt geeignet?105
4.3 Die Wahrscheinlichkeit von Symptomverstärkung108
4.4 Allgemeines zur Durchführung112
4.5 Faktoren für die (nicht) erfolgreiche Anwendung115
5. Besondere Klientengruppen120
5.1 Die Gefahr, zu triggern120
5.2 Arbeiten mit dem Phänomen der Dissoziation129
5.3 Fantasiereisen für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen132
5.4 Selbst- und Fremdgefährdung ausschließen137
Fantasiereise im psychotherapeutischen Setting18
Teil II – Fantasiereisen entwerfen und gestalten138
6. Aufbau, Stil und Umsetzung140
6.1 Elemente einer Fantasiereise140
6.2 Therapeutische Botschaften146
6.3 Die Fantasiereise als sehr persönliches, intimes Hörerlebnis149
6.4 Techniken der Suggestion152
6.5 Entspannungstechniken158
6.5.1 Atemübungen158
6.5.2 Achtsamkeit159
6.5.3 Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (PME)161
6.5.4 Autogenes Training (AT)162
6.5.5 Feldenkrais – Awareness Through Movement (ATM)163
6.5.6 Meditation166
7. Individuelle Fantasiereisen gestalten – der strukturelle Zugang172
7.1 Die magische Struktur entschlüsseln172
7.1.1 Vorbereitende Schritte: die Drei-Spalten-Technik173
7.1.2 Alternativen / Varianten zur Drei-Spalten-Technik177
7.2 Selbst zum Magier werden181
7.3 Gemeinsam mit dem Klienten Fantasiereisen entwerfen198
8. Individuelle Fantasiereisen gestalten – der inhaltliche Zugang202
8.1 Vom Konfliktthema zur Geschichte202
8.2 In den Fluss der Geschichte kommen205
8.3 Transkription: Das Narrativ wird zum assoziierten Erleben215
Zum Abschluss: Placebo-Effekt oder Heilkraft?218
Danksagung222
Literatur224