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Stellen Sie sich einen Winterabend vor. Einen Winterabend in einer Großstadt.«
Er sah mich an, als prüfte er, was ich mir vorstellte, als könnte er es durch meine Augen sehen. »Drinnen ein Kaminfeuer. Behaglichkeit. Ein altes Haus, in dem die Balken knarzen und die Mäuse unter den Dielen umherhuschen. Nein, streichen Sie die Mäuse wieder. Natürlich gab es keine Mäuse. Da waren zu viele Katzen. Ein Haus voller Katzen. Katzen auf jedem Treppenabsatz, jedem Sessel, man tritt leicht auf sie oder setzt sich auf eine, stellen Sie sich das vor. Und dann draußen dieser Abend: unwirtlich, unfreundlich, ungemütlich, alle Arten vonun. Eisregen. Scharfe Böen, die um Hausecken fegen und Müll und Unrat mit sich tragen. Autos mit überfrorenen Scheiben. Kein Abend, an dem man hinausgeht, vor allem nicht in einer Stadt wie jener. Ein Abend voller heulender Schatten und Geister, ein Dickens-Abend. Irgendwann Anfang Januar, also keine Hoffnung auf Adventsstimmung in den Straßen. Nur noch Fetzen von alter Dekoration im Wind, trostlos. Werfen Sie noch ein wenig Hagel mit in den Topf, dann haben Sie ungefähr das Bild.«
»Danke«, sagte ich und sah sehnsüchtig zu dem leider sehr kleinen Ofen hinüber. »Ich habe es. Sehr anheimelnd.«
Er lachte. »Sie frieren ja! Sie zittern! Gut. Und nun stellen Sie sich einen Hinterhof vor. Irgendwo in der Stadt. Großstadt, sagte ich das schon? Die schlechte Sorte. Da ist eine Art Durchgang zur Straße, zwischen den Häusern, und durch diesen Durchgang kommt eine Gestalt. Beim Näherkommen sehen wir, dass es ein alter Herr ist, der sich schwer auf einen Stock stützt: ein schöner Spazierstock, aufwendig mit Schnitzereien verziert, aber in diesem Moment mehr ein Gehstock, eine Krücke. Der alte Herr hat ein steifes Bein, er zieht es hinter sich her wie einen Fremdkörper, mehr noch wie ein Gewicht an einer Kette. Das ist natürlich wieder sehr dickens, das steife Bein. Aber so ist es nun einmal, das ist die Situation, die wir haben. Als der Bewegungsmelder den alten Herrn und sein steifes Bein erfasst, fällt der fahle Schein einer alten Lampe auf den alten Herrn. Er kämpft sich Schritt für Schritt vorwärts, halb geduckt, stemmt sich gegen die stärker werdenden Böen, die den Abend zerreißen, und versucht, mit einem Arm sein Jackett zuzuhalten, dessen Knöpfe er nicht geschlossen hat: ein schwarzes Jackett, oder eine Anzugjacke, sehr klassisch. Darunter trägt er ein weißes Hemd und eine altmodische kastanienbraune Seidenweste mit einem Muster aus kleinen goldenen Lilien. Eine weitere Bö reißt das Einstecktuch aus der Westentasche, blütenweiß segelt es durch die Luft und wird vom Wind die Straße entlang entführt, reiht sich in den Tanz der Papiere und Plastiktüten, Blätter und Äste.
Der alte Herr hält kurz inne, hebt den Kopf mit dem silbergrauen Haar, kneift die Augen hinter seiner randlosen Brille zusammen und lauscht.
Da ist ein Geräusch im beginnenden Sturm, ein feines, zartes, klägliches Geräusch: das Miauen winziger, neugeborener Katzen. Es ist kaum auszumachen jetzt, zuvor war es lauter. Als der Wind noch nicht so stark war. Als die Kätzchen noch mehr Kraft hatten, um zu rufen.
Es war so stark oder die Ohren des alten Herrn so fein, dass er es vom Fenster im ersten Stock aus gehört hat, zwei Häuser weiter.
Der alte Herr findet das Geräusch wieder und folgt ihm unbeirrt durch den Hof, und dann sieht er, woher es kommt: aus einer der drei großen metallenen Mülltonnen. Diese Mülltonnen, Sie wissen schon, deren Deckel man mit Mühe aufschieben und nur mit einem ohrenbetäubenden Knall wieder schließen kann: archaische Relikte einer längst vergangenen Abfallkultur, in der die Leute offenbar vor allem große Möbel und kleinere Dinosaurier wegwarfen, so dass man riesige Tonnen brauchte.
Jetzt steht der alte Herr vor der Tonne, aus der das Rufen der Kätzchen dringt.
Er hebt den Spazierstock und hakt ihn zwischen Tonne und Deckel, um Letzteren aufzuhebeln. Ohne Stock ist der Deckel zu schw