Margarita
Madrid, 8. Juni 1947
Sie ist da! Sie ist da! Endlich! Evita Perón ist gelandet!« Die Stimme des Radiosprechers überschlug sich, als er ins Mikrofon schrie. »Vierzig Jagdflugzeuge geben der Douglas Skymaster mit der Ehefrau des argentinischen Staatspräsidenten Juan Perón das Geleit.«
Es wurde live vom FlughafenBarajas gesendet, und im Hintergrund hörte man begeisterte »Evita! Evita!«-Rufe, Schreien und Lachen.
»Tausende Madrilenen erwarten die Präsidentengattin. Es öffnet sich die Tür des Flugzeugs. Da! Jetzt erscheint sie, Evita Perón!«
Margarita Serrano García schaltete das Radio aus und schloss die Fenster. Auf den Straßen Madrids drängten sich die Menschen, um einen Blick auf Evita Perón zu werfen, wenn sie in Begleitung von General Franco und dessen Frau Carmen Polo de Franco vom Flughafen aus zumPalacio Real, dem früheren Königspalast, fuhr. Tausende warteten bereits seit Stunden auf dem Platz davor, um ihr zuzujubeln, wenn sie sich auf dem Balkon zeigte.
Seit Tagen herrschte in Madrid der Ausnahmezustand, die Menschen befanden sich in einem Taumel der Begeisterung. Fotos der schönen Evita hingen in Schaufenstern und in Cafés.
»Wir gehen jetzt,señora«, rief Elena in den ersten Stock der Wäscherei herauf. »Wir müssen uns beeilen. Hoffentlich bekommen wir noch einen Platz vor dem Palast, um Evita zu sehen.«
»Ist gut«, rief Margarita zurück. »Vergesst nicht, das Schild in die Tür zu hängen. Und viel Spaß.«
»Ja, danke«, war Elenas Antwort, dann hörte Margarita, wie die melodische Türglocke bimmelte und ihre drei weiblichen Angestellten mit aufgeregtem Gekicher die Wäscherei verließen. Margarita schüttelte lächelnd den Kopf. Drei verheiratete Frauen mittleren Alters, die sich wie junge Mädchen benahmen. Stille trat ein, die Maschinen liefen nicht mehr, und auch das Radio im Erdgeschoss war ausgeschaltet. Margarita atmete auf. Sie wollte noch warten, bis der größte Rummel vorbei war, bevor sie sich auf den Heimweg machte.
Sie setzte sich auf die Kante des Tischs und griff nach der aufgeschlagenen Zeitung, die sie bereits gelesen hatte.Evita in Madrid. Berichte über Juan Peróns Frau, die Margarita gedankenverloren noch einmal überflog.
Evita, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen, war heute die First Lady von Argentinien,La Primera Dama. Eine Frau mit großem politischen Einfluss, von der Oberschicht Argentiniens wegen ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit als Schauspielerin verachtet. Doch das Volk liebte sie. In mancher Hinsicht fühlte sich Margarita mit ihr verbunden, denn auch sie hatte Armut und Verachtung erlebt.
Margarita stand auf, warf die Zeitung achtlos in den Papierkorb, ging zum Spiegel und strich sich nachdenklich übers Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen trug. In dem Zeitungsbericht wurde auch erwähnt, dass es in der Hauptstadt noch niemals so viele Frauen gegeben habe, die ihre Haare rotblond färbten, ganz wie Evita Perón. Mit einem kleinen Kopfschütteln dachte Margarita daran, dass auch sie ganz kurz in Versuchung geriet, vor allem, da ihr schwarzes Haar bereits von Grau durchzogen war. Ein Anfall weiblicher Eitelkeit, und das in ihrem Alter.
Unter dem Spiegel mit dem verschnörkelten Goldrahmen standen drei gerahmte Fotos. Eines war die Aufnahme von Margaritas Elternhaus. Klein, aus grauen, groben Steinen gebaut, stand es direkt an einer sandigen schmalen Straße des kleinen Orts Dos Torres, die zu einem Fluss hinunterführte. Im Erdgeschoss gab es nur zwei Räume, die Küche mit dem rußigen Kamin, vor dem sich die Familie bei kaltem Wetter zusammendrängte, und dann noch das Elternzimmer, der Küche gegenüber. Direkt neben der Tür führte eine dunkle, steile Holztreppe in den ersten Stock zu den beiden Kinderzimmern hinauf. Eines für die beiden Mädchen, Margarita und Yolanda, das andere für die beiden Söhne, Basilio und Darío.
Neben dem Foto des Elternhauses stand eine Aufnahme der Familie Serrano García in Sepia längst verblasst. Es war das einzige Foto der Familie, das noch existierte. Margaritas Vater Urbano hatte damals eigens einen Fotografen aus der Stadt beauftragt, zu ihnen zu kommen. Eine Aufnahme für die Ewigkeit, wie er betont hatte. Ein Foto, das man in einem kostbaren Rahmen an