: Judith Kerr
: Ravensburger Verlag GmbH
: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Band 1-3 (Ein berührendes Jugendbuch über die Zeit des Zweiten Weltkrieges) (Rosa Kaninchen-Trilogie, 1-3) Eine jüdische Familie auf der Flucht
: Ravensburger Buchverlag
: 9783473478309
: Rosa Kaninchen-Trilogie
: 1
: CHF 12.40
:
: Jugendbücher ab 12 Jahre
: German
: 576
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein jüdisches Mädchen flieht mit ihrer Familie vor den Nazis durch ganz Europa: die kindgerechte Aufarbeitung einer wahren Fluchtgeschichte Berlin, 1933: Die Nazis kommen an die Macht. In letzter Minute reist Anna mit ihrer jüdischen Familie in die Schweiz. Vieles von dem, was zu ihrem Alltag gehörte, muss in Berlin bleiben - auch ihr rosa Kaninchen. Später flieht Anna nach England und glaubt nach sieben Jahren der Emigration, endlich angekommen zu sein. Da bricht der Luftkrieg über London herein. Nach Kriegsende bleibt Anna in England, aber das Schicksal führt sie noch einmal zurück nach Berlin ... Die neunjährige Anna wächst in einer wohlhabenden jüdischen Familie in Berlin auf. Ihr Vater ist ein bekannter Schriftsteller und Journalist, der auch Artikel gegen Hitler veröffentlicht. Als sich Anfang 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten die politische Lage zuspitzt, ändert sich Annas Leben für immer. Auf der Flucht vor den Nazis beginnt für die Familie eine lange Reise, die sie aus Berlin in die Schweiz und von dort über Frankreich bis nach London führt. Während deutsche Bomben in der englischen Hauptstadt einschlagen, findet Anna Arbeit als Sekretärin und verliebt sich zum ersten Mal. Als nach dem Krieg ihre mittlerweile wieder in Deutschland lebende Mutter krank wird, kehrt Anna zum ersten Mal seit der Flucht in ihre frühere Heimat zurück. Doch dort trifft sie nicht nur auf ihre Mutter, sondern auch auf lang vergessen geglaubte Erinnerungen ...

Judith Kerr war die Autorin der 'Rosa Kaninchen'-Trilogie. Am 14. Juni 1923 kam sie als Tochter des Theaterkritikers Alfred Kerr in Berlin zur Welt. Sofort nach der Machtergreifung der Nazis musste die jüdische Familie fliehen. 1935 emigrierte sie nach London. Nach dem Krieg arbeitete Kerr als freiberufliche Malerin und Textildesignerin. Seit 1953 war sie als Redakteurin und Lektorin, später als Drehbuchautorin für die BBC tätig. 1954 heiratete sie den Schriftsteller Nigel Kneale. Nach der Geburt der Kinder Tacy und Matthew gab sie ihre Arbeit für einige Jahre auf. Von ihrem Mann ermutigt, begann Kerr Ende der 60er Jahre die Geschichte von Anna zu schreiben. Es ist ihre Geschichte, aber die Bücher sind, wie sie betonte, 'Romane und keine Memoiren'. 'Als Hitler das rosa Kaninchen stahl', 1974 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, ist ein Standardwerk der Jugendliteratur und ein anerkannter Klassiker in der Emigrantenliteratur. Judith Kerr starb am 22.5.2019 in London.

1

Anna war mit Elsbeth, einem Mädchen aus ihrer Klasse, auf dem Heimweg von der Schule. In diesem Winter war in Berlin viel Schnee gefallen. Er schmolz nicht, darum hatten die Straßenkehrer ihn auf den Rand des Gehsteiges gefegt, und dort bildete er seit Wochen traurige, immer grauer werdende Haufen. Jetzt, im Februar, hatte sich der Schnee in Matsch verwandelt, und überall standen Pfützen. Anna und Elsbeth hüpften mit ihren Schnürstiefeln darüber weg.

Sie trugen beide dicke Mäntel und Wollmützen, die ihre Ohren warm hielten, und Anna hatte auch noch einen Schal umgebunden. Sie war neun, aber klein für ihr Alter, und die Enden des Schals hingen ihr beinahe bis auf die Knie. Der Schal bedeckte auch Mund und Nase, sodass nur die grünen Augen und ein Büschel dunkles Haar von ihr zu sehen waren. Sie hatte es eilig, denn sie wollte noch im Schreibwarenladen Buntstifte kaufen, und es war beinahe Zeit zum Mittagessen. Aber jetzt war sie so außer Atem, dass sie froh war, als Elsbeth stehen blieb und ein großes rotes Plakat betrachtete.

»Da ist wieder ein Bild von dem Mann«, sagte Elsbeth. »Meine kleine Schwester hat gestern auch eins gesehen und gedacht, es wäre Charlie Chaplin.«

Anna betrachtete die starren Augen, den grimmigen Ausdruck. Sie sagte: »Es ist überhaupt nichts wie Charlie Chaplin, außer dem Schnurrbart.«

Sie buchstabierten den Namen unter der Fotografie:

»Adolf Hitler.«

»Er will, dass alle bei den Wahlen für ihn stimmen, und dann wird er den Juden einen Riegel vorschieben«, sagte Elsbeth. »Glaubst du, er wird Rachel Löwenstein einen Riegel vorschieben?«

»Das kann keiner«, sagte Anna. »Sie ist Klassensprecherin. Vielleicht macht er es mit mir. Ich bin auch jüdisch.«

»Das stimmt nicht!«

»Doch. Mein Vater hat vorige Woche mit uns darüber gesprochen. Er sagte, wir seien Juden, und was auch immer geschähe, mein Bruder und ich dürften das niemals vergessen.«

»Aber ihr geht samstags nicht in eine besondere Kirche wie Rachel Löwenstein.«

»Weil wir nicht religiös sind.«

»Ich wünschte, mein Vater wäre auch nicht religiös«, sagte Elsbeth, »wir müssen jeden Sonntag gehen, und ich kriege einen Krampf in meinem Hinterteil.« Sie betrachtete Anna eindringlich. »Ich dachte, Juden hätten krumme Nasen, aber deine Nase ist ganz normal. Hat dein Bruder eine krumme Nase?«

»Nein«, sagte Anna, »der einzige Mensch in unserem Haus mit einer krummen Nase ist unser Mädchen Bertha, und deren Nase ist krumm, weil sie aus der Straßenbahn gestürzt ist und sie sich gebrochen hat.«

Elsbeth wurde ärgerlich. »Aber dann«, sagte sie, »wenn du wie alle anderen aussiehst und nicht in eine besondere Kirche gehst, wie kannst du dann wissen, dass du wirklich jüdisch bist? Wie kannst du sicher sein?«

Es entstand eine Pause.

»Ich vermute …«, sagte Anna, »ich vermute, weil mein Vater und meine Mutter Juden sind, und wahrscheinlich waren ihre Mütter und Väter es auch. Ich habe nie darüber nachgedacht, bis mein Vater vorige Woche anfing, davon zu sprechen.«

»Also, ich finde es blöd!«, sagte Elsbeth. »Das mit Adolf Hitler ist blöd, und dass Leute Juden sind und alles!« Sie fing an zu laufen, und Anna lief hinter ihr her.

Sie hielten nicht eher an, bis sie den Schreibwarenladen erreicht hatten. Jemand sprach mit dem Mann hinter der Theke, und Annas Mut sank, als sie Fräulein Lambeck erkannte, die in ihrer Nähe wohnte. Das Fräulein machte ein Gesicht wie ein Schaf und sagte: »Schreckliche Zeiten! Schreckliche Zeiten!« Jedes Mal wenn sie sagte »Schreckliche Zeiten«, schüttelte sie den Kopf, und ihre Ohrringe wackelten.

Der Ladeninhaber sagte: »1931 war schlimm genug, 1932 war schlimmer, aber lassen Sie sich’s gesagt sein, 1933 wird am schlimmsten!« Dann bemerkte er Anna und Elsbeth und sagte: »Was kann ich für euch tun, Kinder?«

Anna wollte ihm gerade sagen, dass sie Buntstifte kaufen wollte, da hatte Fräulein Lambeck sie entdeckt.

»Das ist die kleine Anna!«, rief Fräulein Lambeck. »Wie geht es dir, kleine Anna? Und wie geht es deinem lieben Vater? Ein wunderbarer Mensch! Ich lese jedes Wort, das er schreibt. Ich habe alle seine Bücher, und ich höre ihn immer im Radio. Aber diese Woche hat er nichts in der Zeitung – hoffentlich ist er nicht krank. Vielleicht hält er irgendwo Vorträge. Oh, wir brauchen ihn so in diesen schrecklichen Zeiten!«

Anna wartete, bis Fräulein Lambeck fertig war. Dann sagte sie: »Er hat die Grippe.«

Diese Bemerkung rief wieder ein großes Wehklagen hervor. Man hätte glauben können, Fräulein Lambecks liebste Angehörigen lägen im Sterben. Sie schüttelte den Kopf, bis die Ohrringe