1. KAPITEL
„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“
Cole blickte von der Zeitung auf, in die er vertieft gewesen war. Sein Stiefvater stand im Türrahmen und sah ihn fragend an.
„Nein, warte, sag nichts. Lass mich raten“, sprach Victor Gray weiter, ehe Cole antworten konnte. „Stiletto Cosmetics.“
„Woher weißt du das?“ Cole faltete den Wirtschaftsteil der Zeitung zusammen und schob ihn angewidert von sich.
„Wenn du so missmutig guckst, hat es normalerweise etwas damit zu tun.“
Mit einem Ruck stand Cole auf und begann vor der Glasfront in seinem Büro auf und ab zu gehen. Durch die Fenster hatte man eine herrliche Aussicht auf die Skyline von Nashville. Schon bevor er in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, hatte er gewusst, dass es nicht einfach werden würde, die heruntergewirtschaftete Kosmetikfirma seiner Familie wieder aufzubauen.
Espresso Cosmetics hatte sich das Image eingehandelt, Make-up für alte Damen herzustellen. Dazu kam, dass sich eine neue Kosmetikfirma in der Stadt niedergelassen hatte, die riesige Schlagzeilen machte und Espressos schwindenden Kundenstamm an sich riss.
„Die Presse schreibt sich die Finger wund mit Lobeshymnen für Stiletto − und uns rufen die Reporter nicht mal zurück“, murmelte Cole.
Victor blieb im Türrahmen stehen. „Die schlagen doch nur Kapital aus den fünfzehn Minuten Ruhm, die sie hatten, weil diese Sängerin sie im Fernsehen erwähnt hat. Das wird nicht lange anhalten.“
Aber Cole war sich da nicht so sicher. Stiletto hatte schon seit einiger Zeit im Internet für Aufregung gesorgt, bevor die Sängerin die Marke öffentlich angepriesen hatte. Cole sah aus dem Fenster. Auf dem Gebäude gegenüber stand eine riesige elektronische Reklametafel, auf der sich gerade ein Cheeseburger in grellen Farben vom grauen Januarhimmel abhob.
Ausdruckslos starrte er auf das Bild, während er daran dachte, wie Stiletto mit seinen Produkten immer mehr junge Frauen anzog. Espresso hingegen kämpfte verzweifelt um das Interesse genau dieser Kundinnen. Ein Artikel in der heutigen Zeitung hatte den Kampf der beiden Firmen um diese Zielgruppe beschrieben und darüber spekuliert, dass Stiletto als Gewinner hervorgehen würde.
„Hast du Lust, mit mir mittagessen zu gehen?“, unterbrach sein Stiefvater Coles Gedanken. „Seit ich auf der Reklametafel da draußen den leckeren Burger gesehen habe, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.“
Der Burger sah gut aus, das musste Cole zugeben, und schmeckte wahrscheinlich um einiges besser als das Essen in den vornehmen Restaurants, in denen er zuletzt bei vielen Geschäftstreffen gewesen war.
„Ein anderes Mal, Vic. Ich habe keinen richtigen Appetit.“
„Verrätst du mir dann wenigstens, was los ist, oder willst du weiterhin nur die Stirn runzeln und schweigen?“, wollte der ältere Mann wissen.
„Hier steht etwas, das du lesen musst.“
Cole spürte, wie sein Stiefvater zögerte, ehe er das neu eingerichtete Büro betrat, das jetzt völlig anders aussah als zu der Zeit, in der Coles Mutter das Unternehmen geleitet hatte.
Seufzend schob er dem älteren Mann die Tageszeitung hin, schlug sie auf und zeigte auf den Artikel, dem er seine gegenwärtige schlechte Laune zu verdanken hatte.
Er beobachtete, wie Victor sich über die Zeitung beugte und eins der Fotos, die zum Artikel gehörten, ansah.
„Wow!“
„Genau“, erwiderte Cole ärgerlich. Doch dann entdeckte er ein Leuchten in den Augen seines Gegenübers.
„Jetzt sieh dir doch mal die langen Beine in diesem kurzen Rock und in den High Hells an. Ich verstehe nicht, wieso du dich über so was ärgerst. An der ist nichts auszusetzen. Was für ein Anblick!“, rief sein Stiefvater.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Cole das etwas kleinere der beiden Fotos an, das ihm bisher entgangen war. Das war also Stilettos Eigentümerin. Sein Blick glitt über die wilde Lockenmähne und das eher unfreundlich wirkende Gesicht der Frau. Sage Matthews sah genau so aus, wie Cole sie sich vorgestellt hatte – wie eine verwöhnte Nervensäge.
Er schob die Zeitung wieder seinem Stiefvate