1. KAPITEL
Leandro Mandalor duftete nach Leder und Moschus. Claudia Dostis saß links neben ihm und spürte bei jeder Bewegung seine breite, muskulöse Schulter. Jedes Mal, wenn er etwas sagte, erschauerte sie beim Klang seiner tiefen Stimme. Und jedes Mal, wenn er lachte, wand sie sich innerlich. Sie war kurz davor, laut zu schreien. Sollte er sie noch einmal mit seinem Arm streifen, konnte sie für nichts mehr garantieren.
Die Organisatoren des Daytime Television Convention, dem Kongress für TV-Tagesprogramme, hatten schlampig gearbeitet. Sie hatten bei den öffentlichen Forumssitzungen zu wenig Tische für die Teilnehmer bereitgestellt, sodass sie sich jetzt daran drängten. Noch schlimmer war aber, dass sie Claudia ausgerechnet den Platz neben ihrem Erzrivalen zugewiesen hatten. Wie sollte sie sich da auf die Fragen konzentrieren, die ihr gestellt wurden?
Mandalor war bei Weitem der widerlichste Mann, den sie jemals kennengelernt hatte. Wenn sie ihm begegnete, sah sie rot. Das hatte viel mit der Konkurrenzsituation zu tun, in der sie sich befanden. Er war Produzent vonHeartlands und sie Produzentin vonOcean Boulevard. Die Daily-Soaps buhlten zur selben Sendezeit um die Gunst der Zuschauer. Dazu kam, dass er vor sechs Monaten versucht hatte, in ihrem Revier zu wildern. Denn er hatte die Idee des Teams vonOcean Boulevard, in den Wintermonaten eine zusätzliche Hochzeitsepisode in Spielfilmlänge zu senden, einfach geklaut und kopiert.
Aber am meisten störte Claudia der Mann an sich. Er war ihr mit seinen fast eins neunzig zu groß und mit den schwarzen lockigen Haaren zu dunkel. Und er war viel zu großspurig. Er hatte Charisma und strahlte ungeheures Selbstbewusstsein aus. Es war offensichtlich, dass er gern das Sagen hatte und erwartete, dass die Leute nach seiner Pfeife tanzten. Und erst die Art, wie Mandalor sie ansah! Sie hatte dabei immer das Gefühl, er würde sich insgeheim über sie amüsieren. Seine dunkelbraunen Augen funkelten, und sein Blick wirkte belustigt. Jedes Mal, wenn sie dieses Funkeln sah, sehnte sie sich danach, ihm etwas an den Kopf zu werfen.
Als Leandro sich nun auf seinem Stuhl zurücklehnte und sie wieder berührte, griff Claudia nach ihren Notizen, damit sie ihm nicht zuzischte, er solle gefälligst Abstand halten.
„Das ist ein interessanter Punkt. Aber ich bin nicht sicher, ob ich dem zustimme“, sagte Leandro mit seiner tiefen Stimme. „Was denken Sie, Claudia?“
Sie erstarrte. Wegen ihres Ärgers über die erzwungene Nähe zu diesem Mann war ihr der Kommentar aus dem Sitzungssaal völlig entgangen. Panisch ging Claudia in Gedanken die letzten Minuten durch. Sie hatten über die Erwartungen der Zuschauer an tägliche Serien diskutiert. Leider war sie zu sehr damit beschäftigt gewesen, Mandalor zum Teufel zu wünschen, als die Diskussion vertieft worden war.
Beim besten Willen wusste Claudia nicht, welcher Aussage sie zustimmen sollte. Da Angriff ihrer Meinung nach immer die beste Verteidigung war, reckte sie kämpferisch das Kinn vor. „Netter Versuch, Leandro. Aber ich bin sicher, dass es alle hier interessiert, wie Sie darüber denken.“
Einen Moment erwiderte er andeutungsweise lächelnd ihren Blick, und ihr fiel auf, wie sinnlich sein Mund war.
„Wie kann ich widerstehen, wenn Sie mich so nett bitten?“
Er sah ihr noch einen Augenblick länger in die Augen – so lange, dass Claudia sich entschieden unbehaglich fühlte –, bevor er sich wieder den zukünftigen Programmgestaltern im Saal zuwandte. „Das Fernsehen ist ein visuelles Medium. Deshalb werden auch immer schöne Schauspieler zu sehen sein. Aber das heißt nicht, dass es keinen Platz für Charakterdarsteller gibt. Wenn ich Probeaufnahmen machen lasse, habe ich die Rolle im Auge und nicht den Sexappeal oder das Aussehen des Schauspielers, der sich darum bewirbt.“ Er nickte Claudia zu, um sie herauszufordern, ihre Meinung zu sagen.
„Sosehr es mir auch widerstrebt, da muss ich Leandro beipflichten.“ Gelächter erklang, denn die Rivalität zwischen ihr und Leandro war mittlerweile in der ganzen Branche bekannt. „Tatsächlich werden einige der beliebtesten Charaktere beiOcean Boulevard von Schauspielern verkörpert, die nicht gerade den gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Besonders bei den täglichen Serien verlieben sich die Zuschauer