II. Transparenz für wen?
Ein großer Vorteil, den wir aus der Maschine ziehen können, ergibt sich daraus, daß sie der Unaufmerksamkeit, Trägheit und Unehrlichkeit der Menschen Einhalt gebietet.
Charles Babbage
Pläne für die Fabrik von morgen
Im Sommer 2016 habe ich die Gelegenheit, ein Werk der Firma Osram zu besuchen. Diesmal nicht als Arbeiter, sondern als Journalist. Statt von einem schweigsamen Vorarbeiter werde ich von einem höflichen Pressesprecher am Tor abgeholt. Ich recherchiere für ein Radiostück über computergestützte Automatisierung – das Schlagwort der Saison lautet »Industrie 4.0« – und der traditionsreiche Lampenhersteller Osram gehört zu den Unternehmen, die die Digitalisierung und Automatisierung der Fabrikarbeit energisch vorantreiben. Gut drei Jahrzehnte sind seit meinem kurzen Intermezzo in der Chemiefabrik vergangen. Bevor wir in die eigentlichen Fertigungsräume hineindürfen, streifen wir in einem Umkleideraum weiße Überzieher über unsere Schuhe, so als würden wir ein Labor statt einer Fabrikshalle betreten. In der optischen Industrie sind solche Maßnahmen zur Luftreinigung nicht unüblich, weil Staub und andere Partikel den empfindlichen Oberflächen schaden.
Tatsächlich wirkt die Werkshalle wie ein großräumiges Labor mit hoher Decke, sauber, geräumig, hell und aufgeräumt. Der Unterschied zur Pfalz-Chemie könnte kaum größer sein. An Magnetstreifen auf dem Hallenboden entlang rollen hüfthohe Wagen und bringen die Werkstücke von Maschine zu Maschine – große Anlagen mit verschlungenen Röhren, Kabeln und Fließbändern, die die halbfertigen Lampen aus durchsichtigem Glas und blitzendem Metall vorwärts tragen. Manchen Maschinen entströmt weißer Dampf. Sie zischen und rattern, aber selbst der Maschinenlärm wirkt gedämpft; diese Fabrik gibt ein hohes Pfeifen von sich statt ein dumpfes Dröhnen wie die Pfalz-Chemie. An einem Leitstand in der Mitte der Halle stehen drei Arbeiter zusammen und beobachten aufmerksam, aber ohne jede Hektik die Balken und Zahlen auf den Computerbildschirmen. Ein weißbärtiger Mann hat sich einen Klappstuhl neben einer Maschine aufgestellt und tippt etwas in einen Laptop auf seinem Schoß.
»Eingriffe in den Fertigungsprozess durch die Mitarbeiter sind im Grunde überflüssig«, erklärt mir nüchtern der Ingenieur, der eingewilligt hat, mir die neuesten Anlagen und elektronischen Werkzeuge zu zeigen. Den größten Teil ihrer Arbeitszeit verbringen die Beschäftigten damit, Störungen zu beheben und, wenn der Produkttyp der Lampen gewechselt werden soll, die Anlagen einzustellen. Fast hätte ich geschrieben: die Anlagen zu konfigurieren, denn in dieser Fabrik geschieht die Interaktion mit der Maschinerie zu einem großen Teil durch Eingaben mit Computermaus und -tastatur. Die Maschinen sind an vielen Stellen mit Kameras und Messgeräten bestückt, die permanent Daten erheben wie Druck und Temperatur. Arbeiter richten sie für eine bestimmte Leuchte ein – tatsächlich heißen diese Beschäftigten betriebsintern »Einrichter« –, die Maschine übernimmt den Rest. Mit ihren eingebauten Kameras erkennt die Anlage fehlerhafte Leuchten normalerweise selbst und sortiert sie aus. Dann werden sie vom Förderband gestoßen und landen mit einem kurzen Klirren in einem großen roten Plastikcontainer. Aktiv werden die Mitarbeiter, wenn beispielsweise die Transportroboter die Paletten mit den Lampen nicht richtig ablegen und der Nachschub stockt.[1] »Der Arbeiter tritt neben den Produktionsprozess, statt sein Hauptagent zu sein«, schrieb Karl Marx über die industrielle Maschinerie – ob er sich das so vorgestellt hat?[2]
Die Leuchtenherstellung bei Osram kommt bereits heute mit erstaunlich wenig Arbeitskraft aus. Das Management setzt entschieden auf die allerneueste Digitaltechnik, um die Produktion zu modernisieren, aber weitere Personaleinsparungen stehen dabei nicht im Vordergrund. »Wir wollen gar nicht in Richtung der mannlosen Fabrik gehen«, versichert mir der Ingenieur und rechnet vor, dass die Löhne ohnehin nur ein Sechstel der Kosten insgesamt ausmachen. Seine Firma investiert gegenwärtig hohe Summen in mehr Informationstechnik, mit dem Ziel, die Zeitspanne zwischen der Entwicklung eines neues Produkt